Essen. Der erste Klassik-Weltstar vor Publikum nach dem Lockdown. Joyce DiDonatos Essener Konzert war ein Triumph mit Mut machender Botschaft.
Besondere Zeiten brauchen besondere Botschaften. Der erste Weltstar, den das Publikum in Essens Philharmonie wieder live erlebt, beginnt mit einem Stück, das das Programm nicht vorsieht. Eben noch hat Joyce DiDonato, ärmellos, kurz den rechten Bizeps der Unerschütterlichen („Wir sind wieder da!“) gezeigt, dann kehrt ihr Mezzosopran kontemplativ ein in die vielleicht berühmteste, von Franz Schubert kongenial vertonte, Liebeserklärung an das Rettende aller guten Kunst: „Du holde Kunst, in wieviel grauen Stunden, wo mich des Lebens wilder Kreis umstrickt, hast du mein Herz zu warmer Lieb’ entzunden, hast mich in eine bessre Welt entrückt!“
Dieses Abends mit Joyce DiDonato wird man sich nicht allein wegen seiner großen musikalischen Meriten erinnern. Man wird an ihn denken, weil er in pausenlosen 90 Minuten („Ich fühl mich wie Brünnhilde“, sagt sie augenzwinkernd am Ende) eben diese Saite wieder und wieder zum Klingen brachte: Ja, es war schrecklich, ja, es war einsam, grau, aussichtslos fast. Aber so rettend wie die Musik selbst, ist die Tatsache, sie gemeinsam zu erleben. „Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was es heißt, seine Kunst nicht teilen zu dürfen“, sagt die Amerikanerin. Was das Publikum – am Ende stehend und stolze drei Zugaben herbeiapplaudierend – sicher kann: Dankbar das Geschenk empfangen, dass solche Teilhabe seit ein paar Tagen überhaupt wieder möglich ist.
Gefeierter Auftritt in Essens Philharmonie: Joyce DiDonato mit „In My Solitude“
DiDonato hat viel zu geben. Da ist jener Reichtum an Spektren, der einer großen Stimme zur Verfügung steht, die noch im Lied die Heimat große Oper nie verhehlt. Da ist fast grenzenloses Schattierungsvermögen; manchmal sind fahler Klagelaut und heißer Furor auf einem einzigem Atem gesungen. Vokale Wucht weiß die „Yankee Diva“ wahrlich so souverän zu mobilisieren wie sie Momente absoluter Verletzlichkeit zu gestalten vermag.
Und da ist schließlich die rare Kunst, den Fokus der Zuhörer keinen Moment aus der schönen Pflicht bedingungsloser Aufmerksamkeit zu entlassen: Performance, Timing, Authentizität des Klang gewordenen Wortes – hier stimmt alles. Die kostbar lange Stille nach Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ trug so in Essen die Züge allergrößter Verehrung. Nicht zuletzt durch einen idealen Partner am Steinway: Craig Terry.
Haydn, Händel, Hasse, Mahler: „Solitude“(Einsamkeit) galt DiDonatos Programm. Das schloss die Raserei einer barocken Cleopatra ebenso wenig aus wie eine Jazzballade Duke Ellingtons. DiDonatos Botschaft in all dem: Das ist eine Phase, lasst uns nie aufhören an eine bessere Welt zu glauben, nie blind werden für das, was schön ist.
Empfehlenswert: DiDonato legt eine neue Aufnahme von Schuberts „Winterreise“ vor
Zwei Empfehlungen: Wer das Exzeptionelle dieser Sängerin erleben will, darf sie in Essen bereits im November als Händels „Theodora“ wiedersehen. Ein Ereignis auf CD: Joyce DiDonatos eben erschienene Aufnahme von Franz Schuberts „Winterreise“ (Erato). Der Live-Mitschnitt aus New Yorks Carnegie Hall lässt aufhorchen. In seiner Emotionalität ist er auf tief berührende Weise schonungslos, in der Skala vom ganz großen Ton bis zum versiegenden Piano von zwingender Klang-Dramaturgie – bei nahezu makellosem Deutsch. Am Klavier: der Chef der „MET“, Yannick Nézet-Séguin. Aufrüttelnd gut!