Essen. Tragödie eines Clowns. Im Aalto Theater sehen wir Leoncavallos „Bajazzo“ als ewig Gefangenen seines Schicksals. Es gab großen Beifall!
Erst kam das Publikum wegen Corona monatelang nicht ins Opernhaus hinein, jetzt kommt der Sänger nicht mehr heraus. Wahngetrieben stürzt sich Canio, „Der Bajazzo“, von der Bühne in die Kulissen, rast durchs marmorne Treppenhaus, rüttelt an den gläsernen Pforten des Aalto-Theaters. Keine Chance – der Mann, den sein Leben beim Theater zum Mörder aus Eifersucht machte, wird dem Drama wohl nie mehr entkommen.
Wuchtige Optik, zweifellos: Als wahngeladenes Kurzkino beginnt in Essen Roland Schwabs Lesart von Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ mit einer riesigen Filmprojektion – und mit einem durchaus bewährten Regie-Griff. Denn Schwab nimmt das Ende an den Anfang: Die Bühne, auf der Canio zuhause ist: längst ein Tatort. Leichensäcke und Nummern am Boden sagen: Die Spurensicherung war längst da, nachdem aus einer „Commedia“ in der Provinz ein tödlicher Racheakt auf offener Bühne geworden ist.
Aalto Premierenreigen geht weiter: Viel Beifall für den „Bajazzo“
Die 75 pausenlosen Minuten sind in der Donnerstag einhellig gefeierten ein Seelengefängnis in der Dauerschleife. Piero Vinciguerras Bühne nährt diesen Totentanz, in dem Canios Widersacher Tonio den Takt angibt: Das Zelt der Komödianten ist skelettiert auf eine Skizze aus Lichterketten, wie eine hungrige Spinne wird es sich schließlich senken auf diese Studie der Unentrinnbarkeit.
Einer der schwärzesten Gags: Schwab pervertiert einen Slogan, mit der Deutsche Bühnenverein vor Jahren die Notwendigkeit szenischer Kunst bewarb. Canio lässt sein Schicksal keine Alternative, er spielt Tragödie und Clowneske blutbefleckt weiter, mit einem Schild um den Hals: „Theater muss sein“.
Doch so ambitioniert es scheint, dass Schwab von Beginn an Leoncavallos Mauern zwischen den Ebenen von Kunst und privatem Konflikt niederreißt: Die Regie nimmt dem Kurzdrama damit auch Fallhöhe. Die Geschichte ist früh weitgehend auserzählt.
Star des Abends ist ein junger amerikanischer Bariton: Seth Carico als Tonio
Musikalisch ist der Abend vorwiegend gelungen, mehr Feinabstimmung zwischen (dem in dieser Fassung verschlankten) Orchester, Bühne und dem im Zuschauerraum agierenden Chor wird künftigen Aufführungen gut tun. Auch könnte Robert Jindra (exemplarisch im Vorspiel) die Essener Philharmoniker zu weit mehr theatralischer Glut anfachen, im Gegenzug gelingen die pastosen Stellen dem Orchester betörend schön. Sergey Polyakov müht sich anfangs in der Titelrolle, die Stimme klingt verhangen, man hört leichte Trübungen. Dann aber findet sein Bajazzo, darstellerisch tief anrührend, zu starker Form. Carlos Cardosos Beppe füllt die kleine Rolle mit viel Witz und festem Tenor. Gabrielle Mouhlens Nedda zeigt ihre Qualitäten vor allem im dramatischen Forcieren. Klarer Star des Abend ist der Tonio von Seth Carico – der Bariton aus Chattanooga singt den Strippenzieher mit abgründiger, voluminöser Eleganz.
Der Premierenreigen dauert an, Samstag geht es mit einer Ballettaufführung am Aalto-Theater weiter.