Mülheim/R. Mit ihrem „Tragödienbastard“ gewann Ewelina Benbenek den mit 15.000 Euro dotierten Mülheimer Dramatikpreis, ehemals Mülheimer Dramatikerpreis.
Überraschungssiegerin bei den Mülheimer „Stücke“-Tagen: Nicht die beiden favorisierten Mülheim-Veteranen Sibylle Berg („Und sicher ist mir die Welt entschwunden“) und Rainald Goetz („Das Reich des Todes“) gewannen mit ihren „Alterswerken“ den nunmehr gendergerecht entmännlichten „Mülheimer Dramatikpreis“, sondern die Newcomerin Ewe Benbenek.
Den mit 15.000 Euro dotierten „wichtigsten deutschsprachigen Theaterpreis“ bekam die Literaturwissenschaftlerin Ewelina Benbenek für ihren „Tragödienbastard“ – ein Stück, in dem die Autorin, die in den 80er-Jahren als Kind mit ihren polnischen Eltern nach Deutschland einwanderte, das Fremdsein in der migrantenfeindlichen Klassengesellschaft und die daraus hervorgehenden Verletzungen dramatisiert. Das Stück sei ausdrücklich kein Sozialdrama, befanden die fünf Jurymitglieder, es wirkte auf sie vor allem sprachlich überzeugend mit seiner Vielstimmigkeit, seinen „Sprach-Loops“, seinem frechen Witz und seiner Selbstreflexion, die sich gleichsam „beim Schreiben über die Schulter“ schaue.
Favoriten waren Rainald Goetz und Sybille Berg
Der insgesamt unauffällige Stücke-Jahrgang 2020/21, der wenig von Corona geprägt war und trotz des Lockdowns immerhin auf 85 Uraufführungen im deutschsprachigen Raum kam, sei von zwei Strömungen geprägt, befand Sven Ricklefs als Moderator des abschließenden dreistündigen Jury-Gesprächs am Samstagabend: Die Blicke auf jüngere und jüngste Geschichte, in denen Konflikte der Gegenwart verhandelt werden und „erfreulich komplexe weibliche Positionen auf der Bühne“, die „einen Schritt weiter“ gingen als herkömmlicher Feminismus. Den „Stücken“ selbst hat das Online-Streaming übrigens mehr Zuschauer eingebracht, als live vor Ort in Mülheim Platz gehabt hätten.
Im Abschlussgespräch positionierte sich vor allem Schauspielerin Cathleen Morgeneyer für „Das Reich des Todes“ von Rainald Goetz, das nach 20-jähriger Bühnenabstinenz des Autors schon vorweg als „Uraufführung des Jahres“ bezeichnet wurde. Die Jury sah in dem Stück über die Folterungen in Abu Ghreib und den US-Krieg im Irak ein „monströses Stück“, das „im weitesten Sinne unspielbar sei“ und deshalb eine „großartige Herausforderung“ an das Theater, einen „faustischen Weltentwurf“.
„Das Reich des Todes“ zu täterfixiert? Es kippte in Richtung „Tragödienbastard“
Aber die Jury habe das beste Stück des Jahrgangs zu bestimmen, betonte der Theaterkritiker Janis El-Bira, und nachdem der Regisseur Jakob Weiss den eigentlich völlig literaturfernen „ethischen“ Einwand geltend gemacht hatte, das Stück blicke nur auf die Täter und nicht auf die Opfer beklagte, kippte die Entscheidung in Richtung „Tragödienbastard“. Weiss schwärmte von der „unglaublichen Aufrichtigkeit und Verletzlichkeit“ des Textes, sein Umgang mir der Sprache sei sei „extrem charmant und witzig“. El-Bira nannte Benbeneks Stück „für ein Debüt überwältigend“ – trotz leiser Kritik an „Neunmalklügelei“ und theater-untauglichen Begriffen wie „Narrativ“.