Düsseldorf. . „Der Ring des Nibelungen“ ist zu drei Viertel vollendet. Samstag hatte Dietrich Hilsdorfs Deutung in Düsseldorf Premiere.

Auch Zwerge haben große Brüder. Mime etwa, hochbegabter Schmied, leidet derart unter jenem Alberich, nach dem „Der Ring des Nibelungen“ benannt ist, dass ihm die verhasste Bruderfratze zur Dart-Scheibe taugt. Ein hübscher Gag in einer zahmen „Siegfried“-Inszenierung. Samstag war Premiere in Düsseldorf.

Es bleibt eine abenteuersatte Jungs-Oper: Siegfried, Vollwaise und Halbstarker, wird vom bösartigem Gnom Mime aufgezogen. Doch Knabe und Kraft verselbstständigen sich, er tötet, um voranzukommen, besiegt Großvater Wotan, und erlebt erste Lust in den Armen seiner Tante: Brünnhilde.

Dietrich Hilsdorf – an der Rheinoper seit 2017 für das komplette Riesenwerk im „Ring“ – erzählt die Ausgangslage durchaus mit Lust. Mime ist bei ihm ein Trödelking mit erklecklichen Wahn-Farben. Der kleine Irre, der seit Jahren erfolglos an der Reparatur des Superschwerts „Nothung“ laboriert, teilt Wagners Liebe zu Vorgeschichten. Wie das alles kam mit dem Raub des Goldes von den Rheintöchtern, wie er von Alberich für dumm verkauft wurde, das zieht er sich Abend für Abend auf Video rein (für Jüngere: Hilsdorfs Idee spielt in der Zeit der VHS-Kassette). Das alles mag irrlichternd kreativ klingen, im Grunde aber erzählt Hilsdorf im Märchenopern-Stil bloß die bekannte Geschichte. Beeindruckend indes die handwerkliche Güte: Wunderbar aufmerksam lauscht Hilsdorf der Musik, lässt Wagners Figurenwissen extrem präzise Bühnen-Fleisch werden.

Dietrich Hilsdorf inszeniert „Siegfried“ in Düsseldorf mit präzise gezeichneten Figuren

Allein, es bleibt ein Abend, der kaum exklusive Deutungsebenen aufweist. Gott Wotan im abgewetzten Militärmantel (Kostüme: Renate Schmitzer), Emporkömmling Alberich mit Bowler-Hat – das ist Wagnerianern so wenig überraschend wie die Tatsache, dass der Gold hortende Drache Fafner Echo einer maschinenversessenen Epoche ist. Ein imposanter Theatereffekt bleibt es aber doch, wie die viereinhalb Meter hohe Ur-Lok dampfend aufs Parkett zukriecht. Siegfrieds Schwert zielt in den Kesselraum und trifft: Diese Maschine hat nur einen Zylinder – der thront auf dem pechschwarzen Kopf des Montan-Barons Fafner.

Den fünfstündigen Abend möchte man in seiner souveränen Typenführung und dem klugen Mix aus Einfallsreichtum und szenischem Purismus (Bühne: Dieter Richter) fast kurzweilig verspielt nennen, wäre nicht der dritte Aufzug. Wagners komponierte Ewigkeit des Zueinanderfindens ist hier ermüdend konventionell inszeniert. Daran ändert nichts, dass Brünnhildes Feuerfelsen ein abgestürzter Helikopter („Apocalypse now“) ist. Wir kennen ihn bereits: als kriegsstrategischen Neuzugang aus der Rheinopern-„Walküre“, bei der sich Hilsdorf ansonsten ungeniert seiner Aalto-Deutung von 2009 bediente. Zu Dreivierteln ist das Werk am Rhein nun also geschmiedet. Das Ergebnis: Ein „Ring“ für die ganze Familie. Wer hätte gedacht, dass wir das je von Dietrich Hilsdorf sagen würden?

Cornel Frey räumt als Mime ab, Düsseldorfs Symphoniker bieten kammermusikalische Raffinesse

Das sängerische Niveau ist weitgehend gut. Michael Weinius debütiert in der Titelpartie. Am glaubwürdigsten klingt der Tenor mit baritonalem Fundament in den melancholischen Lyrismen. Hilsdorfs animierter Regie folgt der mitunter fahrig wirkende Schwede mit hüftsteifer Mühe. Ganz anders Linda Watsons Brünnhilde, die selbst einer rostigen Sikorsky mit Operngrandezza entsteigt. Cornel Frey – stimmlich etwas klein, spielerisch grandios – räumt als Mime ab. Simon Neals Wotan hat in den mächtigen Höhen seine besten Momente. Axel Kober findet bei maßvollem Tempo mit Düsseldorfs Symphonikern zu hinreißenden kammermusikalischen Farben. Wie schade, dass es gegen Ende – wieder einmal – viel zu laut wird.