Drolshagen. Warum bestellt eine Kirchengemeinde mitten im Sauerland ein modernes Altargemälde? Pfarrer Markus Leber aus Drolshagen verrät die Gründe

Die Region Südwestfalen ist reich an Altären und Legenden über Altäre. Mit dem monumentalen Retabel des Malers Thomas Jessen für St. Clemens in Drolshagen wird dieser Geschichte jetzt ein neues Kapitel hinzugefügt. Das Altarprojekt ist im Erzbistum Paderborn ohne Parallele. „Möge es Jahrhunderte bestehen“, so hofft Auftraggeber Pastor Markus Leber. Doch wie kommt eine Gemeinde mitten im Sauerland dazu, bei einem etablierten zeitgenössischen Maler ein solches Großwerk zu bestellen?

Pastor Markus Leber (52) interessiert sich seit seiner Jugend für Kultur. Er ist in Neuastenberg aufgewachsen, war einige Jahre in Castrop-Rauxel tätig und hat im Studium in Paderborn bei Prof. Christoph Stiegemann einen vertieften Zugang zur Kunst gewonnen. „Altarbilder waren die Bibel der Amen in Zeiten, als die meisten Christen noch nicht lesen konnten“, betont der Geistliche. „Kunst hatte immer einen katechetischen Zweck. Sie lädt ein zur Beschäftigung mit den Inhalten des Glaubens.“

Ein Bild im Bild

Dass Jessens 4,10 Meter hoher und 5 Meter breiter Flügelaltar ein Marienaltar geworden ist, das wusste der Pfarrer vorher nicht, „man gibt einem Künstler keine Anweisung, wo drauf steht: Das wollen wir so haben“. Aber es begeistert ihn: „Ich bin mit der Gottesmutter gut befreundet. Was wir über Maria sagen, können wir auch über die Kirche sagen. Die Gürtelspende an den ungläubigen Thomas ist ein Bild im Bild, das zum Nachdenken anregt.“

Prof. Dr. Christoph Stiegemann, der frühere Leiter des Diözesanmuseums Paderborn, begleitet die Umbaupläne für den modernen Gebäudeteil von St. Clemens seit über zehn Jahren. „Der Altar ist etwas ganz Außergewöhnliches geworden“, ordnet er ein. „Er zeigt die großen Mittlerinnen, die Gottesmutter, die heilige Veronika, das finde ich so elementar in der Botschaft des Ganzen.“ Als Kunsthistoriker analysiert Prof. Stiegemann die einzelnen Gestaltungsaspekte. „Charakteristisch für das Werk von Thomas Jessen ist, dass er die Themen ins Heute übersetzt und uns damit einen eigenen und sehr starken Zugang eröffnet.“

Unterschiedliche Realitätsebenen

Prof. Stiegemann macht auf weitere Details aufmerksam: „Thomas Jessen spielt mit unterschiedlichen Bild- und Realitätsebenen. Die Hl. Veronika zum Beispiel ist die einzige Figur, die den Betrachter direkt ansieht und in den Kontext mit einbezieht.“ Die Vielschichtigkeit bezieht sich auf die gesamte Komposition und auf die Details gleichermaßen. „Die Gottesmutter, die auf der Leiter steht, ragt mit dem Kopf als einzige in den Bereich des Geheimnisses hinein, ins Blau des Himmels, sie ist wirklich die Mittlerin“, analysiert Prof. Stiegemann. „Das finde ich groß und tief in der theologischen Deutung, das ist wirklich der Schlüssel des Werkes. Das ganze Erlösungswerk ist darin aufgehoben.“

Gottvertrauen in die Zukunft

Seit den Jahren um 1400 werden in den Kirchen Südwestfalens Altäre gestiftet. Sie sollen zwischen Himmel und Erde vermitteln. Niemand würde beispielsweise heute den Ort Affeln in der Gemeinde Neuenrade kennen, hätten ein Konsortium Affelner Bürger nicht vor gut 500 Jahren der Lukasgilde in Antwerpen den berühmten flandrischen Altar abgekauft – unter teils rätselhaften Umständen. Eine Theorie besagt, dass das damals hochmoderne Werk für den norwegischen Königshof geschaffen wurde. Dann kam die Reformation dazwischen, und der Altar blieb liegen, was die Sauerländer für sich zu nutzen wussten.

Die Drolshagener St. Clemens-Kirche hat nun ebenfalls einen Anziehungspunkt, der weit über die Ortsgrenzen hinaus Interessierte anlocken dürfte. Und der für Zuversicht steht. In einer Zeit, in der die katholische Kirche in ihren Grundfesten erzittert, vertrauen die Drolshagener auf die Kraft der Frohen Botschaft und finanzieren ein Retabel, das weit in die Zukunft wirkt.

Die Kirche ist offen

„Wenn Kunst Leute auch außerhalb des Kreises der regelmäßigen Gottesdienstbesucher ansprechen kann, dann sind wir ja schon einen Schritt weiter“, ist Pastor Leber überzeugt. „Die Kirche ist jeden Tag geöffnet, jeden Tag ist Gottesdienst, es gibt immer die Möglichkeit zu kommen und zu schauen.“ Ob der Altar sofort Beifall von allen Seiten findet, das weiß Pastor Leber nicht.

Der Pfarrer ist glücklich, dass die Gürtelspende mit der Thomaslegende eine wichtige Rolle in der Bildkomposition spielt. Thomas legt den Finger in die Wunde Christi. „Der Apostel Thomas steht für den modernen Christen, den Skeptiker; der Zweifel steckt uns in den Kleidern. In den Altar kommen Reliquien des Hl. Thomas, insofern passt das doppelt und dreifach.“

Auch Prof. Stiegemann betont den Wert von Kunst für die Glaubensvermittlung. „Es ist eine Kraft in der Kunst, die uns verwandeln kann. Jessen vermag es, die bekannten Inhalte zum Leben zu erwecken. Das ist eine große Leistung. Darin steht er in der Tradition der Alten, die ebenfalls das Heilsgeschehen in ihre Wirklichkeit geholt haben.“ Dass sich die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt getroffen haben, ist für Prof. Stiegemann „eine Fügung des Himmels. Man wird Zeitzeuge von etwas Besonderem.“

Es ist ausgesprochen selten, dass Kirchengemeinden heute Altarbilder in Auftrag geben. Daher stellen wir das Retabel für St. Clemens in Drolshagen in einer kleinen Serie vor. Der neue Flügelaltar wird am Pfingstmontag durch Weihbischof König in St. Clemens Drolshagen eingeweiht.

Die Gemeinde wird das Retabel in einer kleinen Gottesdienst-Reihe mit Text-Impulsen Interessierten vorstellen. Den Auftakt macht am Mittwoch, 26. Mai, 19 Uhr, Dr. Monika Willer, Kulturredakteurin unserer Zeitung. Unter Coronabedingungen fasst die Kirche 100 Besucher. www.kirchspiel-drolshagen.de