Essen. Zwischen Flugscham und Postkarten: Eckhart Nickel veröffentlicht Reisebetrachtungen. Die Textsammlung erscheint unter dem Titel „Von unterwegs“.

Nun, wo das Virus unser Handeln bestimmt, muss auch der einst Umhergetriebene daheimbleiben. Ansonsten werden weitere Reisen mindestens mit Quarantäne geahndet. Ein Umhergetriebener war der gebürtige Frankfurter Eckhart Nickel stets, ein simpler Tourist wohl nie, weil er nicht nach dem bereits Vertrauten suchte.

Ihm ging es um das Abenteuer, sich auf etwas einzulassen, um Gefühle des Überraschtwerdens. Vor dem Virus schon hatte das weltweite Netz die Möglichkeit solcher Gefühle minimiert. Der schöne Begriff, etwas zu er-fahren, war nicht mehr gekoppelt an den Weg dorthin. Längst reicht ein Klick. Zuvor reiste man nicht aus Fluchtgründen, sondern aus Neugier und weil man gerne mal aus den Sicherheiten des Alltags heraus wollte.

Mit Bruce Chatwin im Transitzustand

Der Andersreisende Eckhart Nickel weiß um die „Grundregel des Reisens: Nichts erwarten und dennoch auf alles gefasst sein“. Er weiß aber auch, dass die Würde des Reisens immer schwieriger zu bewahren ist „zwischen Wetterextremen, kollektiver Flugscham, schwelenden Kriegsherden und global wuchernden Epidemien“. Insofern kann man seine Textsammlung übers und ums Reisen auch lesen als großes Weißt-Du-Noch.

Immerhin bleibt noch der ICE als „Siegeszug des wiedervereinigten Deutschlands“. Der aber hält kaum noch und hat wenig mit dem Draußen zu tun, dafür viel mit telefonierenden Mitreisenden. Für Eckhart Nickel war das Flanieren durch unbekannte Weltgegenden stets ein zentraler Punkt seines Schreibens. Ganz im Sinne des großen Reiseschriftstellers Bruce Chatwin schwebt auch für ihn überm permanenten Transitzustand die immer neue Frage: Was mache ich eigentlich hier?

Nickels Texte reichen von der Fingerübung bis zum Essay

Früher waren Reisende oft „wohlhabende Exzentriker“. Dieses Früher grundiert Nickels Texte. Mehr als fünfzig sind hier versammelt von der Fingerübung bis zum Essay, von der Beschreibung des richtigen Equipments bis zum Lob der Quartiere, von Ortsbeschreibungen über Bildungsexkurse bis zu gereimten Postkartentexten: ein Sammelsurium des Unterwegsseins eines Gentleman-Travellers, mal als eleganter Dandy, dann wieder als formbewusster Snob, der mal die Filme Wes Andersons, mal Jack London oder Glenn Gould, aber auch Tim und Struppi als Geistesverwandte aufzurufen weiß. Mal macht er das wichtigtuerisch wissend, dann wieder ansteckend begeisternd.

Eckhart Nickel führt von Kairo bis Spitzbergen, kurvt mit dem Rad durch die Saalegegend und schließt von der Alpenwelt mit ihren Untertunnelungen auf das Wesen der Schweizer. Er erzählt von Stränden als Herausforderungen, von Kaffeehäusern möglichst ohne Wi-Fi als ideale Rückzugsorte, von Buchhandlungen als Refugien in San Francisco, Paris und Heidelberg.

Unverzichtbare Distinktionsmerkmale zum Plebs der Massentouristen

Neben den Orts- und Ländernamen häuft Eckhart Nickel die der Marken, die den westlichen Reisenden bei seinen überfeinerten Wahrnehmungen unterstützen und unverzichtbare Distinktionsmerkmale zum Plebs der Massentouristen sind. Viel Pathos fährt er auf, wenn er seine Weltläufigkeit ausstellt, die ihm auch deswegen ein wenig zerfasert, weil aktuell das Reisen zunehmend in Verruf geraten ist.

Eckhart Nickel. Von unterwegs. Piper Verlag. 280 Seiten. 20 €