Recklinghausen. Recklinghausens Ruhrfestspiele beleuchten 2020 die Gesellschaft im Spiegel von Biografien. Experimente und Schauspieler-Theater im Mittelpunkt.
Das Einstandsmotto von Ruhrfestspiel-Intendant Olaf Kröck war mit „Poesie und Politik“ ein etwas diffuses Passepartout. 2020 klingt konkreter. „Macht und Mitgefühl“. Offenbar die Botschaft, dass Macht heute immer häufiger in Abwesenheit von Mitgefühl auftritt? „Bedauerlicherweise ja“, sagt Kröck und folgt Hannah Arendt, „weil dann Macht zu Diktatur und Unterdrückung wird.“
Nicht weniger ehrgeizig als bei seinem Debüt hat der Intendant (Interview auf dieser Seite) den neuen Spielplan gestaltet. Avantgarde regiert in Performance, Tanz, Schauspiel. Nicht ohne Stolz weist Kröck auf Deutschlandpremieren bei den Ruhrfestspielen hin. Philip Glass’ neue Kompositionen werden laut Kröck in „Tao of Glass“ in der Regie des vielgepriesenen Phelim McDermott „die vielen Facetten des Menschseins“ auffächern. Theaterlegende Peter Brook zeigt sich mit „Why“ von der komödiantischen Seite.
Ulrich Matthes, Wolfram Koch, August Diehl und „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza
Neben dem Experiment weiß der Festspielchef um die Lust der Besucher an purem, hochklassigen Schauspieler-Theater. Die füttern etwa in „Don Quijote“ mit Ulrich Matthes und Wolfram Koch zwei Elite-Mimen. Der Coup: In Jan Bosses Deutung (Deutsches Theater Berlin/Bregenzer Festspiele) werden allein die zwei Herren die ganze Romanwelt spielen – vom Esel bis zur Dulcinea - „eine Hymne auf das Theater“, schwärmt Kröck. August Diehl und Judith Engel werden in Andrea Breths Berliner Inszenierung „Drei Mal Leben“ (Yasmina Reza). Und Werner Wölbern geht in einer Neuinszenierung des „Zerbrochnen Krugs“ als Adam mit sich selbst ins Gericht.
Dazu schenkte die Prophetie des gelernten Dramaturgen Kröck ein Theaterprojekt nach einem Roman von Olga Tokarczuk (Die Jakobsbücher). Er lud es ein, ehe die Polin den Literaturnobelpreis erhielt. Besonderes Herzblut hat der Theatermacher für ein weiteres Projekt mit polnischer Beteiligung. Für „Arbeiterinnen“ sind in Deutschland und Polen sechs Arbeiterinnen dreier Generationen begleitet worden. Sie selbst gaben für das Projekt Sprache und Einblicke in ihre Leben, Schauspieler werden dise Biografien zu einem Abend verdichten - eine Uraufführung. Was zwei Exzentriker wie Lars Eidinger und der Konzeptkünstler John Bock am Ende von Ibsens „Peer Gynt“ übrig lassen, wird (nach der Premiere an Berlins Schaubühne) ebenfalls an der Ruhr zu sehen sein.
Auch Dennis Scheck kehrt zurück, Devid Striesow, Saša Stanišić und Paul Maar
Lesungen großer Literatur von ebenbürtigen Sprechern bleiben auch im neuen Jahrgang eine Konstante. Devid Striesow bringt Goethe nach Recklinghausen, Barbara Nüsse Brigitte Kronauer. „Sams“-Vater Paul Maar bittet mit „Troll Tojok“ zur Familienlesung mit Musik. Und erneut kommt Deutschlands pfundiger Buchplauderer Dennis Scheck mit Autoren ins Gespräch. 2020 sind es Saša Stanišić, Judith Schalansky und Christoph Ransmayr.
Chilly Gonzales, Sven Pistor und der „Neue Zirkus“
Bei aller Ambition der Kunst: Über Unterhaltung wird auch in Olaf Kröcks Intendanz Publikum erobert und gewonnen, mal in Form des „Neuen Zirkus“, mal durch die Stippvisiten von WDR Big Band und Chilly Gonzales, Figurentheater (in Kooperation mit der Fidena, dem Figurentheater der Nationen in Bochum) und einem Kabarettprogramm, das von „Storno“ über Tan Caglar bis zu Sven Pistor.
Die Ruhrfestspiele 2020 laufen vom 3. Mai bis 13. Juni. Programmbücher liegen an vielen Kulturinstitutionen, können aber auch online bei den Festspielen angefordert werden: www.ruhrfestspiele.de Der Kartenvorverkauf startet am 31. Januar. Zentrales Karten-Telefon der Ruhrfestspiele Recklinghausen: 02361 9218-0.