Essen. Der große Jazzmusiker Chris Barber, der auch ein Förderer der Popmusik war, ist im Alter von 90 Jahren in seiner britischen Heimat gestorben.

Unter bühnengestählten Unterhaltungsmusikern gibt’s einen foppenden, aber durchaus kollegial gemeinten Spruch für Leute, deren Karriereweg eher nach unten weist: „Der geht jetzt Möbelhäuser eröffnen und spielt da ,Ice Cream’...“ Aber der Mann, der den mehr als oft gehörten Ohrwurm „Ice Cream“ berühmt machte und diese Dixieland-Hymne im schwäarzesten New-Orleans-Stil so richtig schön zum Swingen brachte, wird diesen Song nur noch im Himmel spielen: Chris Barber ist am Dienstag im Alter von 90 Jahren gestorben, wie sein Label Last Music. Co. unter Berufung auf die Witwe mitteilte.

Chris Barber war ein Rastloser. Selbst im hohen Alter gab er noch um die 100 Konzerte im Jahr, besonders gerne in Deutschland, wo man seine Musik bis in die jüngere Vergangenheit fast mehr wertschätzte als in seiner Heimat Großbritannien. Erst vor zwei Jahren, nach einem schweren Sturz, zog sich der Jazz-Veteran von der Bühne zurück.

Er förderte Lonnie Donnegan und andere Wegbereiter des Rock

Wobei Barber keineswegs nur in der Jazz-Szene Achtung genoss, sondern erstaunlicher Weise vor allem bei jenen, die später die Popmusik revolutionierten.

Der Sohn eines Wirtschaftswissenschaftlers und einer sozialistischen Bürgermeisterin aus dem Londoner Norden wusste ganz genau, was er auf seiner Posaune tat. Mit 19 gründete er eine Jazzband. Er studierte neben Posaune auch Kontrabass an der renommierten „Guild­hall School of Music and Drama“. Barber traf mit seiner Musik den Nerv der Zeit. In den brodelnden späten 50ern entdeckten die Briten auch den Blues, die Countrymusik, es entwickelte sich die Skiffle-Musik, die schließlich Beat und Rock beeinflusste, etwa die Beatles. Barbers Band gehörte zu den wichtigsten Protagonisten dieser Zeit, zu seinen Hits zählten auch eine Version von Sidney Bechets „Petite Fleur“ oder der „Wild Cat Blues“. Und es war eben nicht der pure Dixieland, sondern auch jede Menge Skiffle in der Musik des Chris Barber. So findet sich auf dem Debütalbum „New Orleans Joys“ aus dem Jahr 1954 die Skifflehymne „Rock Island Line“, die den Sänger Lonnie Donegan berühmt machen sollte.

Seine deutsche Fan-Gemeinde wuchs schier unaufhörlich

Das Thema Förderung war Barber immer wichtig. 1958 eröffnete er zusammen mit einem Geschäftspartner den legendären Londoner Marquee Club, in dem viele zukünftige Rockstars auftraten, darunter die Yardbirds und die Rolling Stones. Auf US-Tourneen lernte Barber Blueslegenden wie Muddy Waters kennen. Er brachte ihn nach Europa, unterstützte ihn auch finanziell. Auch dadurch hielt die E-Gitarre Einzug in die aufstrebende britische Rhythm-and-Blues-Szene.

Jubiläums-Album mit Clapton, Van Morrison, Dr. John, Keith Emerson, Mark Knopfler

Für Barbers Karriere bedeutete das einen erheblichen Einbruch. Er blieb zurück mit dem Traditional Jazz. Aber er machte das Beste draus, zumal seine Fangemeinde ja eher wuchs, gerade in Deutschland. Seine hervorragenden Kontakte in die Rock- und Pop-Szene blieben – und wurden dann deutlich, wenn man ihn plötzlich bei einem Konzert am Kölner Tanzbrunnen lässig und mit Spaß in den Backen in der Band von Van Morrison ausmachen konnte. Auch bei einer Jubiläums-Platte 2011 drängelten sich die Stars: Eric Clapton, Van Morrison, Dr. John, Jools Holland, Keith Emerson und Mark Knopfler.

„Ice Cream“ ist übrigens nicht darauf.