Essen. Ralf König zeichnet in seinem neuen Buch „Vervirte Zeiten“ ein genaues Bild des Corona-Alltags. Und vom schnuckeligen Rewe-Filialleiter...
Wenn man in diesen Wochen, kurz vorm ersten Jahrestag des Lockdowns, die zigste Variante von Corona-Tagebüchern liest, dann verdreht man ja schon reflexhaft die Augen. Wenn allerdings jemand wie Ralf König die autobiografisch gefärbten 2020er-Comic-Chroniken seines herzallerliebsten Schwulenpärchens Konrad und Paul herausbringt, hinter denen sich ja nichts anderes verbirgt als die beiden Seelen, ach, in Königs Brust, dann könnte das schon lustiger werden…
Tja, könnte…Seien wir fair: Es ist tatsächlich amüsanter als die meisten anderen literarischen Ergüsse, die man aus dem verflixten vergangenen Frühjahr 2020 in die Finger bekommt. Aber auch König hat das Virus eben kalt erwischt – und er musste erstmal damit zurechtkommen. Deshalb ist „Vervirte Zeiten“, der siebte Band der Abenteuer von Konrad und Paul, auch etwas anders geraten als die anderen Sprösslinge der Reihe. Denn es sind eigentlich „schnell hingekritzelte Cartoons auf Facebook“, mit denen König anfangs seine Ratlosigkeit bekämpfte, als die Welt nur noch ein Thema kannte…
Ralf König pinselte im Tagestakt ab dem 18. März
Und so gibt es diesmal keine klare Geschichte, keinen größeren Zusammenhang als die vier, fünf Panels pro Seite, die König möglichst im Tagestakt pinselte, vom 18. März bis 31. Oktober. Und man merkt deutlich: Die Stimmung der ersten Seiten ist eher von Ratlosigkeit, Überforderung und leichter Depression geprägt. Was soll jemand wie Paul als promisker, schwuler Großstädter, als Mitglied einer großen Partygemeinde, auch machen, wenn plötzlich nichts mehr geht…
Also nicht, dass bei ihm nichts mehr ginge, sondern allgemein in der Welt. Paul macht seine ersten Video-Livesex-Erfahrungen in der Krise, bei denen sein Gegenüber den schönen Satz sagt: „So’n Mist. Bei dem anderen Virus ging wenigstens Safer Sex.“ Und Paul stellt daraufhin fest: „Ja, jetzt niesen sie dir aufs Kondom!“ Und der erste richtige Lacherfolg gelingt König in genau diesem Cartoon, wenn er die Frage aufwirft: Wenn man beim Videosex hustet, muss es dann in die Armbeuge sein?
Der Rewe-Filialleiter von der Subbelrather Straße als Running Geck
Die gute Nachricht: Nach ein paar „vervirten“ Rohrkrepierern kehrt Ralf König wieder zur gewohnten Form zurück, ihm gelingen ein paar hübsche Running-Gags, etwa mit dem Rewe-Filialleiter von der Subbelrather Straße, den er in seiner Lockdown-Langeweile als erster anschmachtet, der aber bald eine Massenwanderung unter den Schwulen der regenbogenbunten Stadt Köln auslöst. Gepaart mit Gerüchten über die angeblichen Hetero-Vorlieben des schnieken Lebensmittelhändlers, die sich aber bald in Luft auflösen, entsteht so doch noch ein Band, bei dem Ralf König sich keine Blöße gibt, die er nicht voll beabsichtigt hätte. Und in dem doch nicht jeder Tag zwangsweise vom Virus dominiert ist – also herrlich normal, wie bei allen.
Ralf König: Vervirte Zeiten. Rowohlt Verlag, 192 Seiten, 24 €