Essen. Warum lesen Eltern wenig vor? Oft ist Verunsicherung die Ursache. Melanie Würtz von der Stiftung Lesen gibt Tipps für den Alltag.

Und noch ein Programmpunkt von so vielen, den gute Eltern im Alltag zu erfüllen haben: Vorlesen! Viele Mütter und Väter, ergab die jüngste Umfrage der Stiftung Lesen, empfinden das Vorlesen als eine weitere Anforderung: am besten jeden Abend und mindestens eine halbe Stunde lang. „Aber so ist es nicht!“, betont Melanie Würtz, bei der Stiftung zuständig fürs Thema: „Wenn es sich in den Alltag integrieren lässt, ist das super, aber es sollte kein Druck entstehen. Es sollte keine Mühe machen und keinen Stress, sondern einfach eine Art der Freizeitgestaltung mit den Kindern sein.“ Hier ihre wichtigsten Tipps für Eltern und Großeltern, aufgezeichnet von Britta Heidemann.

Der „richtige“ Ort

Den gibt es eigentlich gar nicht: „Man muss das Vorlesen nicht inszenieren. Natürlich ist es schön, wenn man sich in einer ruhigen Atmosphäre mit dem Kind einkuschelt. Aber auch wenn man gemeinsam auf den Bus wartet, kann man fünf Minuten lang etwas Vorlesen, um die Zeit zu überbrücken.“ Und nicht nur das: „Durch das Vorlesen bringt man Ruhe in eine Situation.“

Die Wahl der Geschichte

Eltern kennen das: zum x-ten Mal Pippi Langstrumpf! „Oft suchen Kinder sich immer wieder dieselbe Geschichte aus: Da sollte man sich ein wenig zurücknehmen und dem Wunsch nachkommen, in dem Wissen, auch diese Phase geht vorbei“, sagt Melanie Würtz. Die Alternative: „Man findet etwas, das das Kind momentan interessiert: Wenn etwa in der Kita oder Schule gerade das Thema Igel behandelt wird, dann gibt es vielleicht ein passendes Buch dazu.“

Die Kunst des Vortragens I

„Es ist toll, wenn Mama und Papa oder auch Oma und Opa sich Zeit nehmen und vorlesen. Wenn man sich damit wohlfühlt und schon etwas Übung hat, kann man natürlich die Stimme verstellen oder das Gesagte mit einer Geste unterstreichen, wenn man irgendwann so ein richtiger Profi ist. Aber das ist ja fast schon schauspielern!“ Und deshalb eigentlich gar nicht nötig.

Die Kunst des Vortragens II

Etwas aber gilt es doch zu beachten: „Wichtig ist, Pausen zu machen. Zu schauen, kommt das Kind mit oder steigt es gerade aus? Es ist hilfreich, zwischendurch Fragen zu stellen: Hast du so etwas auch schon mal erlebt, wie war das denn bei dir neulich? Das Vorlesen wird so zum Dialog, bleibt kein einseitiger Kommunikationskanal.“

Die Vorbereitungen

Muss man für einen solchen Dialog das Werk also vorher studiert haben, das man nun vorträgt? Keinesfalls! „Es ist auch sehr schön, die Geschichte gemeinsam zu entdecken. Und vielleicht zusammen zu rätseln, wie könnte es jetzt weitergehen? Allerdings sollte man das Buch vielleicht einmal durchblättern und sicherstellen, dass es nichts enthält, was für das Kind nicht geeignet ist. “ Übrigens: Auf der Seite der Stiftung Lesen gibt es Buch-Tipps für jede Altersgruppe.

Die eigenen Hemmungen

„Wir hören oft von Eltern: Ich kann nicht gut vorlesen.“ Unsere Antwort darauf lautet: „Kinder sind sehr viel weniger kritisch als die Erwachsenen selbst. Wenn man mal über ein Wort stolpert, macht das Kindern überhaupt nichts aus. Gerade bei jüngeren Kindern kann man in Bilderbüchern auch Textpassagen weglassen und gemeinsam die Bilder betrachten und darüber sprechen, wenn man nicht ausschließlich vorlesen möchte. Viel wichtiger als die Geschichte von Anfang bis Ende durchzulesen, ist die gemeinsam verbrachte Zeit.

Die Konkurrenz durch den Fernseher

Vorleserinnen und Vorleser müssen auch keine Sorge haben, dass ihnen der Fernseher den Rang ablaufen könnte, betont Melanie Würtz: „Eltern sind kein Konkurrenzangebot zu anderen Medien. Alle Kinder bekommen gerne Aufmerksamkeit von ihren Bezugspersonen.“ Schwierig könnte es werden, „wenn Kinder nicht daran gewöhnt sind, vorgelesen zu bekommen und die schnellen Reize aus dem Fernsehen vermissen“. Was tun also, wenn das Kind zappelig wird? „Auch diese andere Art von Konzentration kann man üben, indem man beispielsweise mit kürzeren Texten anfängt und danach etwas gemeinsam etwas bastelt.“ Die Erfahrung zeige: „Sehr schnell kommen dann die Kinder auf den Geschmack und fordern das Vorlesen regelrecht ein."