Essen. Zwei Jahresrückblicke mit Witz: Die Karikaturisten Heiko Sakurai und NEL haben ihre schönsten Zeichnungen des Jahres 2020 zusammengestellt.
Der einzige Grund, das Verschwinden von Donald Trumps und dann auch des Corona-Virus zu bedauern, ist die Tatsache, dass beide in den Zeichnungen unserer Karikaturisten auffällig seltener vorkommen werden. Donald Trump wurde ja erst im Präsidentenamt zu einer existenziellen Bedrohung für alle, die von Witzen über Politik leben: Wie zeichnet man einen, der schon in der Wirklichkeit eine 3D-Karikatur auf zwei Beinen ist? Wie übertreibt man einen, der die lebende Übertreibung von allem ist? Aber dann zugleich so viel Unheil anrichtet, so viel durch und durch Niederträchtiges sagt und tut, dass einem das Lächeln gefriert, bis das Erstarren in Schlottern übergeht.
Beim Corona-Virus ist das fast genauso, nur dass es nicht gewählt wurde. Da hilft nur: Schütteln vor Lachen. Lachen und nochmal lachen, aber nicht bis der Arzt, sondern sobald der Zeitungsbote kommt. Heiko Sakurai und Nel sind eine Art Sanitäter mit dem Zeichenstift, der längst ein digitaler ist, ohne dass der Charme des Gezeichneten verlorenginge.
Darin liegt die wahre Könnerschaft unserer Zeichner: Die Mächtigen und die Ohnmächtigen sind auf ihren Bildern immer vom Leben gezeichnet. Und vom Witz, der im Grimmschen Wörterbuch der deutschen Sprache zunächst mit der Bedeutung „verstand, klugheit, kluger einfall“ geführt wird, bevor dann die Variante „scherz“ folgt. Der Witz kommt vom Verstand und hilft zugleich dabei, denselben nicht zu verlieren. Witz beruht auf jener Vernunft, der die Maßstäbe noch nicht so verrutscht sind, wie sie es im politischen Leben mit beängstigender Zuverlässigkeit geschieht. Aus der Verzweiflung, daran nichts ändern zu können, obwohl man es besser weiß, entsteht der Witz: als Ventil.
Speerspitze gegen Filterblase
Lange vor der Erfindung von Facebook schon, als ihr deutsches Raumschiff noch in Bonn stationiert war, erzeugte die Politik eine große Filterblase – und die Karikatur ist eine Speerspitze der freien Presse und des unabhängigen Denkens, die immer wieder hineinstechen muss, damit die heiße Luft entweichen kann. Und der Wortnebel. Bis alle, die Augen haben zu sehen, im politischen Getriebe die nackten Mechaniken der Macht, des Eigennutzes und der Eitelkeit erkennen.
Herausragenden Karikaturisten wie Sakurai und Nel gelingt es, das Absurde in der Realität zu zeigen, indem sie letztere nur ein Schräubchen weiterdrehen, nur zu Ende denken bis über den Abgrund des Wahnwitzigen, in dem der Witz vom Wahn sich trennt.
Seine offensichtliche Lieblingsfigur Angela Merkel stattet Heiko Sakurai in wenigen Strichen mit der coolen Uneitelkeit, dem ausgeschlafenen Machtinstinkt und der beinahe liebenswert aufgetragenen Harmlosigkeit aus, die wir im Fernsehen mehr ahnen als sehen. Aber mit derselben Sorgfalt widmet er sich den komplett gegenteilig gearteten Gesichtszügen des Lügen- und Virus-Superspreaders Donald Trump: Das Titelbild von Sakurais Jahresbilanz zeigt die Person in der ganzen Zweifelhaftigkeit ihres Charakters und in ihrer verheerenden Wirkung auf die Gesundheit von Mensch und Gesellschaft.
Heiko Sakurai findet immer wieder den archimedischen Punkt, von dem aus man die Welt aus den Angeln heben kann, weil er Standpunkte hat. Der Witz ist, dass dieser große Karikaturist auch die zum Lächeln bringt, die ganz woanders stehen.
Maßkrug-Masken für Bayern
Der unter dem Kampfnamen NEL zeichnende Ioan Cozacu wiederum hat in diesem Jahr die 1001 absurden, komischen, bizarren oder einfach nur lustigen Seiten der Corona-Pandemie erkundet, von der Bayern-Maske in Gestalt von Maßkrügen („Maske und Alkohol – das geht“) bis zur Maskenpflicht am FKK-Strand, von der Frage „Welche Reisewarnung können Sie uns empfehlen?“ im Reisebüro bis hin zum Boxring, in dem am emporgereckten Arm des Schiedsrichters das mickrige Virus als Sieger hängt, während am anderen Arm der muskelprotzende Exportweltmeister in die Armbeuge niest. „Covid und Goliath“ heißt die Zeichnung, denn NEL spielt gern mit Worten, bis hin zu dem genialen Polit-Kalauer „Wie es in Belarus weitergeht…“ – „Weiß Russland“.