Duisburg. Selten war im letzten Jahrzehnt so viel von dem weltweit geschätzten Holzbildhauer Stephan Balkenhol zu sehen wie jetzt im Duisburger Lehmbruck.
Man kann auch an Stephan Balkenhols Skulpturen einfach vorbeischlendern und sich freuen an dieser unnachahmlichen Manier: Einerseits geben sie, immer noch voller Splitter, Risse, Kerben und manchmal auch mit der Holzmaserung zu erkennen, dass sie gemacht sind – andererseits scheinen diese Figuren ein Leben zu haben. Eines, das uns an unser eigenes erinnert. Ja, diese aus dem Holz befreiten Menschen wirken gelassen, still, melancholisch manchmal.
Aber die Geschichten, die uns da in den Kopf schießen, wenn wir sie sehen, sind unsere Geschichten. Wir gießen sie hinein und das Holz saugt sie auf. In diesem tieferen Sinne sind Balkenhols Menschenskulpturen ein Spiegel, trotz ihrer so wenig glatten Oberfläche. Balkenhol, der ja nicht zuletzt aus Widerstand gegen den Stein gewordenen Minimalismus seines Lehrers Ulrich Rückriem zur gegenständlichen Kunst fand, ist einer der führenden figurativen Bildhauer der Gegenwart.
Von Waiblingen bis San Francisco, Ron Rom bis Chicago
Und selten gab es in den letzten Jahren so viel Balkenhol zu sehen wie nun im Duisburger Lehmbruck-Museum – mit über 200 Skulpturen, Reliefs und Zeichnungen aus drei Jahrzehnten geben sie einen Überblick, lassen Handschrift und Variationen eines Künstlers erkennen, der zu den bedeutendsten figurativen Bildhauern der Gegenwart zählt. Balkenhols Skulpturen zieren den öffentlichen Raum, in Chicago und San Francisco, in Berlin und Rom, in Waiblingen, Toronto (nur in Duisburg, ausgerechnet, unterlag er beim Wettbewerb um die Gestaltung der Brunnenmeile).
Präsentiert werden im Lehmbruck Arbeiten aus drei Jahrzehnten, und in dieser retrospektiv angelegten Schau werden Muster und Variationen sichtbar bei einem Künstler, der auch in diesem Jahr noch einmal einen jener Männer mit schwarzer Hose und weißem Hemd schuf, die mittlerweile eine Art Markenzeichen geworden sind. So einer kam denn als erster Balkenhol vor 30 Jahren in die Lehmbruck-Sammlung.
Balkenhols brillanter Gepard, der Kugelfisch und eine Verbeugung vor dem Fasan
Aber da ist eben auch der brillant (wie so oft bei Balkenhol) samt tiefseegrünschwarzem Sockel aus dem Stamm gehauene Kugelfisch, der weiß, dass die farbige Fassung, die Bemalung das Werk in eine neue Dimension hebt. Ähnlich der wilde Gepard mit dem fast menschlichen Gesichtsausdruck. Gerade wegen dieser empfindlichen Fassung mag es Balkenhol gar nicht, wenn seine Skulpturen angefasst werden. Manchmal aber, wenn die Maserung einer Douglasie zu erkennen ist oder Balkenhol Kiefer verwendet hat. Meist aber sind seine Arbeiten aus Wawaholz, auch Abachi genannt, das weich genug zum Bearbeiten ist und trotzdem bei der Trockung selten Risse wirft und auch so gut wie gar keine Substanz verliert.
Immer wieder vermisst dieser Künstler den Menschen neu, gibt ihm im Miniaturformat die verlorene Harmlosigkeit des Kindes zurück oder eruiert die wahre Menschlichkeit im überlebensgroßen Riesen. Er kommentiert manches tiefironisch (wie den nackten Mann mit dem Pfauenrad am Hintern), anderes mit Mitgefühl wie die Mischwesen aus Mensch und Tier, die ja aus dem Reich der Mythologie in die Gentechnik-durchwirkte Realität einzubrechen drohen.
Straßen-Erfahrung auf dem Heimweg aus Knokke
Stephan Balkenhol hat auch seinen Tierskulpturen, etwa auch den in Duisburg nicht zu sehenden Hühnern, einen ebenso sparsamen wie bestimmten Gesichtsausdruck gegeben, dem etwas ur-menschliches innezuwohnen scheint – auch das gewiss eine Einladung zur Projektion unserer Erfahrungen. Aber einmal in dieser Ausstellung kehrt sich die Richtung um, und es ist eine Arbeit, die aus dem Rahmen fällt: Ein verwackeltes Schwarz-Weiß-Bild einer dreispurigen Straße - und über das Bild stolziert ein farbprächtiger Fasan: „Ich konnte dem Tier damals nicht ausweichen“, erinnert sich Balkenhol, „als ich auf dem Weg von einer Ausstellung in Knokke nach Hause war. Es ist eine Hommage an dieses eigentlich doch so schöne Tier, eine Verbeugung.“