Herne. Unsere neue Serie erzählt von Kulturinitiativen an der Ruhr, in denen Integration selbstverständlich dazugehört. Heute: „Pottporus“.
Man stelle sich das einmal vor: Wanne-Eickel in den frühen 90ern, vorm Hertie in der Innenstadt legt ein Breakdancer eine große Pappe aufs Pflaster. Aus einem batteriebetriebenen Ghettoblaster kommen laute Hip-Hop-Beats. Der Tänzer präsentiert dazu einen „Robot Dance“, pantomimenartig bewegt er sich im Takt. Die meisten Menschen gehen achtlos vorbei – doch ein junger Mann bleibt fasziniert stehen: „Ich fand das so cool“, sagt Zekai Fenerci, „von diesem Moment an schlug mein Herz für die Hip-Hop-Kultur“.
Auf der Stereoanlage von Zekai Fenerci lief fortan US-Rap von 2Pac, Snoop Dogg und Public Enemy. „Die Texte hab ich damals nicht so genau verstanden. Aber das war nicht so wichtig. Es war genau die Musik, die mich erreicht hat“, sagt der Bergmannssohn, der 1973 im Alter von einem Jahr ins Ruhrgebiet kam.
In den USA war Hip-Hop auch stets eine Ausdrucksform des Protests: Schwarze Minderheiten nutzten den Rap, um auf gesellschaftliche Missstände hinzuweisen. „Als Türke in Deutschland hatte ich in meiner Jugend auch Diskriminierung erlebt – wahrscheinlich konnte ich mich deswegen so sehr mit der Hip-Hop-Kultur identifizieren.“
Als relevante Kunstform etablieren
Inzwischen ist Zekai Fenerci 48 Jahre alt. Er ist künstlerischer Leiter und Geschäftsführer des Vereins „Pottporus“, der das Ziel hat, die vielen Facetten der Hip-Hop-Kultur – wie Rap, DJ-ing, Breakdance und Graffiti – als gesellschaftlich relevante Kunstform der Gegenwart zu fördern. „Urban Art sollte genau wie die Oper, das Ballett oder das Theater stärker als eigenständige Kulturform wahrgenommen werden“, sagt er.
Zu oft werde das, was unter den Begriffen „Urban Art“ oder „Street Art“ laufe, von den Menschen noch immer in eine sprichwörtliche Schublade gesteckt – und eben nicht als künstlerische Arbeit auf hohem Niveau wahrgenommen, die der Realität der Stadtgesellschaft entspricht. „Viele denken bloß: Oh, da sind Ausländer dabei, dazu noch aus sozial schwachen Gegenden – schön, dass sie sich mit dem, was sie da machen, hübsch integrieren können“, sagt Zekai Fenerci. „Das wollen wir aber nicht. Wir wollen für unsere Ideen ernstgenommen werden, für unsere Professionalität; für die Kunst, die wir auf die Bühne bringen.“
Ein Zentrum für Urbane Künste
Seit fast drei Jahrzehnten formt Zekai Fenerci die Hip-Hop-Szene des Ruhrgebiets mit. In den frühen 90ern hatte er Partys mit DJs und Breakdancern in einem Jugendzentrum in Wanne organisiert, und er merkte, dass großes Interesse an Hip-Hop-Angeboten bestand. 1998 lud er erstmals zum Breakdance-Wettbewerb „Ruhrpottbattle“ in die Herner Flottmann-Hallen. Und langsam reifte bei ihm auch die Idee, eine eigene Tanz-Kompagnie zu gründen.
Im Jahr 2003 fiel der Startschuss für das Projekt „Renegade“. Seitdem hat die Kompagnie viele Preise gewonnen, war mehrfach international auf Tour und hat Künstler in die ganze Welt vermittelt. 2007 folgte die Gründung des Vereins „Pottporus“, unter dessen Dach „Renegade“ aktiv ist. Außerdem kümmert sich der Verein um die Organisation von Festivals, Angebote für Jugendliche und die Nachwuchsförderung.
„Pottporus“ ist Teil des Netzwerks „Interkultur Ruhr“ – und wird dort als sehr wichtiger Partner wahrgenommen. „Dem Verein ist es gelungen, die Idee der Interkulturalität wegzubringen von der Exotik, die dabei oft anklingt, und sich als Teil der urbanen Stadtgesellschaft zu präsentieren“, sagt Kuratorin Johanna-Yasirra Kluhs.
Zekai Fenerci plant ein Zentrum für Urbane Künste für das Ruhrgebiet. So wird bereits geprüft, ob ein altes Hallenbad oder ein ehemaliges Karstadt-Gebäude umgebaut werden kann. Noch ist „Pottporus“ in einem ehemaligen Jugendzentrum an der Dorstener Straße in Herne beheimatet, dort gibt es einen großen Raum für Kurse und ein paar Büros. „Aber für Bühnenbetrieb ist kein Platz“, sagt der 48-Jährige. Zuletzt ließ er prüfen, ob ein altes Hallenbad in Eickel zum Tanzzentrum umgebaut werden könnte. „Das Ergebnis ist noch offen.“ Außerdem: Ein Neubau sei vielleicht gar nicht zwingend nötig. „Die Theaterlandschaft in der Region ist ja groß genug“, sagt Zekai Fenerci.
Junge Inhalte für die Stadttheater
Dass freie Szene und Stadttheater erfolgreich zusammenarbeiten können, habe seine Kompagnie ja bereits von 2010 bis 2017 bewiesen – mit „Renegade in Residence“ am Schauspielhaus Bochum. „Es wäre toll, wenn so etwas erneut gelänge. Für die Theater jedenfalls wäre das eine Chance. Mit jungen Inhalten bleiben sie zukunftsfähig.“
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INFO ZUR SERIE
Kooperationen, Netzwerk, Förderfonds – „Interkultur Ruhr“ ist ein Projekt des Regionalverbands Ruhr (RVR) und des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Es entstand als Folge des Kulturhauptstadtjahres „Ruhr.2010“.
In einer Serie blicken wir auf verschiedene Akteure und Projekte von „Interkultur Ruhr“. Weitere Infos dazu unter: www.interkultur.ruhr