Essen. Max von der Grüns zweites Buch „Irrlicht und Feuer“ brachte 1963 Arbeitgeber und Gewerkschaften auf die Barrikaden – und wurde zum Bestseller.

Als 1963 Max von der Grüns zweiter Roman „Irrlicht und Feuer“ erschien, war der Teufel los. Sein erster, „Männer in zweifacher Nacht“, war zwei Jahre zuvor fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienen. Aber „Irrlicht und Feuer“, der jetzt nach „Kumpel Anton“ auch in der WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets vorliegt, sollte eine neue Ära der Literatur einläuten, der Roman ist eine Art Gründungsdokument jener engagierten Literatur der Arbeitswelt, die den originären Beitrag des Ruhrgebiets zur deutschen Literaturgeschichte darstellt. Der Roman machte Schluss mit dem von Walter Jens seinerzeit beklagten Zustand, dass die deutsche Literatur „den Menschen nur im Zustand des ewigen Feierabends“ beschreibe. Er schildert ja nicht nur lakonisch-drastisch die gefährliche Arbeit unter Tage, sondern auch den Lebensalltag der Menschen im Revier der frühen 60er-Jahre, als die ersten Zechenschließungen die Menschen um ihren gerade erworbenen Wohlstand fürchten ließen.

Der Hauer Jürgen Fohrmann, der impulsive Held dieses Romans, erlebt nach der Schließung seiner Zeche, dass das Leben im weißen Kittel, dass die Arbeit in der Industrie nicht weniger monoton und entfremdet war als die im Kohlenstreb. Dass die ganze Quälerei nur für den Konsum da sein soll, lässt einen Sinnsucher wie Fohrmann ein ums andere Mal aus der Haut fahren. Seine Ehe kriselt, und seine Freundschaft mit dem Alkohol ist höchst einseitig, weil er es ja ist, der Fohrmann immer wieder in Schwierigkeiten bringt.

Hemingway und Kahlschlag-Literatur

Als der Roman herauskam, droschen Arbeitgeber auf Max von der Grün genauso ein wie die Gewerkschaften, beide fühlten sich zutiefst getroffen. Die einen, weil der Roman unhaltbare Zustände bei der Arbeitssicherheit schilderte – und die anderen, weil sein Held aussprach, dass die zu „Sozialpartnern“ erhobenen Betriebsräte und Gewerkschafts-Funktionäre sich wenig um die wirklichen Interessen der Bergleute kümmerten und Komplizen der Zecheneigentümer geworden waren.

Das alles in einer lakonischen und doch stets vorwärtsdrängenden Sprache, die an Hemingway und Kahlschlag-Literatur der Nachkriegszeit erinnerte. Max von der Grün hat seine einmal so geschildert: „Meine drei Jahre Kriegsgefangenschaft in den USA, das war meine Universität.“

Für den Autor war das der Paukenschlag am Beginn seiner Karriere, die ihm das „vollkommene irdische Glück“ bescherte, nämlich „ohne Geldsorgen“ zu sein. Genau diese Angst aber erkennt auch der Romanheld Fohrmann immer mehr als Antrieb für eine Existenz, die ihn nicht zufriedenstellen kann.

Literaturpreis Ruhr und die „Vorstadtkrokodile“

Als die Zeche dichtmacht, beginnt für ihn eine berufliche Odyssee vom Hilfsarbeiter auf dem Eisenverladeplatz und auf dem Bau schließlich in die Elektroindustrie, wo Fohrmann „endlich kein dreckiger Kohlen-, Eisen- und Stahlarbeiter mehr“ ist. Doch auch hier fühlt er sich von Vorgesetzten ausgenutzt, ausgepresst. Der Frust der Arbeitswelt entlädt sich wiederum in gesteigerten Konsumbedürfnissen – ein Teufelskreis.

Max von der Grün, der spätere Träger des Literaturpreises Ruhr, der von seinem behinderten Sohn zu dem mehrfach verfilmten Jugendbuch „Vorstadtkrokodile“ inspiriert wurde, arbeitete lange als Hauer, musste aber nach einem Arbeitsunfall zum Grubenlokführer umschulen. In den drei Monaten, die er verletzt im Krankenhaus zubrachte, begann er zu schreiben. Er fange eben, hat er einmal gesagt, „dann zu schreiben an, wenn andere mit der Faust auf den Tisch schlagen.“ Genau so ist dieses Buch.

Max von der Grün: Irrlicht und Feuer. WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets, Klartext Verlag. 297 S., 12,95 €. Der gesamte Schuber der WAZ-Bibliothek kann versandkostenfrei für 85 Euro bestellt werden unter https://leserladen.waz.de/bibliothek-des-ruhrgebiets/