Oberhausen. Ein vielschichtiger Erfolgsroman wird Theater: „Herkunft“ von Saša Stanišić“ wurde jetzt in Oberhausen uraufgeführt. Ein guter Abend, aber lang.

„Herkunft“: acht Buchstaben nur, im Innern von Saša Stanišićs Roman indes ein Sturzbach fantasiegesättigter Vergangenheitsbewältigung. Er brachte dem Hamburger mit bosnisch-serbischen Wurzeln 2019 den Deutschen Buchpreis. Um die Theaterfassung rissen sich viele, Oberhausen heimste das Recht der Uraufführung ein.

Warum? Weil die Stadt ein so stattlicher Melting-Pot der Migration sei, heißt es. Und: weil ein „ellenlanger Brief“ des Regisseurs an Stanišić den Netzroller auf die richtige Seite fallen ließ. Der Regisseur ist Sascha Hawemann. seine Fassung geht wertschätzend und liebevoll um mit dieser außergewöhnlichen Literatur.

Der Erfolgsroman „Herkunft“ von Saša Stanišić jetzt in Oberhausen uraufgeführt

In Saša Stanišićs tausendgesichtigem Mosaik vom Fremdsein im Ankommen, steckt noch im Schreckensszenario des Völkermordes ein Hauch von Eulenspiegelei. Umgekehrt lauert im kleinsten Wortspiel der Deutschkurse und frühen Liebeleien des Einwanderers Saša ein Abgrund. Alles ist grundiert von Verunsicherung: Was erinnerte Realität ist, was das Narrativ einer Bewältigung, bleibt Geheimnis.

Stanišić Erzählkosmos verhandelt rasant Klein neben Groß, Demenz der Großmutter trifft Großlage Balkan. Das erfühlt Hawemann packend – nicht nur, weil er die Schizophrenie eines chamäleonhaften Daseins zwischen mythensatter Familienhistorie und deutscher Spielkonsolen-Sozialisation personifiziert und den Ich-Erzähler in gleich drei Darsteller spaltet.

Sascha Hawemann inszeniert „Herkunft“ wertschätzend und mit Gefühl für die Erzählebenen

Wolf Gutjahrs Bühne zeigt riesengroß die Buchstaben „H E R K U N F T“, mal von der rohen Kulissenseite, mal bedeutungsvoll wie ein Denkmal, stets einzeln, nie als kompletten Schriftzug. So wird denn das Unfertige von Mensch und Erzählung Raum. Acht Buchstaben, acht Menschen: Gleich wie und womit Agnes Lampkin, Ronja Oppelt, Anna Polke, Lise Wolle, Torsten Bauer, Clemens Dönicke, Henry Morales, und Daniel Rothaug ins Spiel kommen: Immer trägt es die Züge von eben Gefundenem. Die Drina fließt bloß als blaues Tuch, unsichtbar ist die Schreibmaschine, in die alles Erlebte pantomimisch gehämmert wird. Abgeranzt wirkt vieles, wie die Sperrmüllmöbel für die das Kind Saša sich so schämt.

Ein Abend der losgelassenen Gefühle - aber pausenlose zweidreiviertel Stunden sind eine Zumutung

Später folgt mehr und mehr Vereinzelung. Ein rollbares Wohn-Aquarium beherrscht den Raum als verglaste Absteige für Pubertätsgefummel, fürs einsame Ende von Vučko, dem Wolf, der einst das Maskottchen für Sarajewos Winterspiele war, und jenes in der Völker-Zerrüttung fließende Blut, das sich partout nicht abwaschen lassen will.

Der Abend lässt all die Gefühle auf uns los, die den Text regieren. Er ist hektisch und haltlos. sinnlich und schroff. Er schlägt (etwas zu oft) Krach – und hält den Atem an. Die atmosphärischen Wechsel spiegelt sein Sound. Live-Musik (XELL, Martin Engelbach) begleitet – oft melancholisch, mal von beunruhigendem Puls – dieses Meer der Geschichten, von dem wir ahnen, dass auf der Insel namens Zuhause immer nur die anderen ankommen.

Ein heftiger Makel der Uraufführung sei nicht unterschlagen: Es ist seine Länge. Pausenlose (!) zweidreiviertel Stunden sind nicht nur publikums-, sondern leider auch kunstfeindlich. Sie führen dazu, dass, gefühlt, menschliche Schicksale irgendwann schlicht inflationär an uns vorbeisausen. Gutes Theater, dringender Kürzungsbedarf.

----------------

Saša Stanišić wurde 1978 in Višegrad geboren. Im Bosnienkrieg verließ er mit seiner Familie die Heimat. Heidelberg war in Deutschland die erste Station. Durchschlagenden Erfolg erntete der Autor 2014 mit seinem Roman „Vor dem Fest“.

Nächste Termine von „Herkunft“ am Theater Oberhausen: 17., 18., 28., 30 Oktober. 4.,6.,7., 8., 20., 21. November. Karten (11-23€), Tel. 0208-8578184