Essen. Klavier-Festival Ruhr: Der kroatische Starpianist Ivo Pogorelich begeisterte bei seinem Auftritt in der Essener Philharmonie das Publikum.
Schon der junge Ivo Pogorelich wurde in einer Reihe mit Wladimir Horowitz und Friedrich Gulda genannt, von Martha Argerich gar als Genie bezeichnet. Bis heute hat der Starpianist nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt, freilich auch nichts von der Zwiespältigkeit seiner Interpretationen. In der Essener Philharmonie traf er jetzt beim Klavier-Festival Ruhr auf einen (coronaformatig) ausverkauften Saal und ein begeistertes Publikum.
Pogorelich hat jetzt die Sechzig hinter sich gelassen, und da, wo er sich früher an den Flügel setzte und sofort loslegte, schreitet er jetzt – nach wie vor ohne erkennbare Gefühlsregung – aufs Podium und breitet in aller Ruhe Notenblätter vor sich aus. Und wenn er zum großen musikalischen Zirkel von Bach bis Ravel ausholt, erweist sich seine über alle Zweifel erhabene Virtuosität und Anschlagskultur als ungebrochen.
Erhabene Virtuosität und Anschlagskultur
Irritation dagegen stellt sich durch die extrem subjektive Gestaltung vor allem in der romantisiert anmutenden Englischen Suite Nr. 3 ein. Da setzt Pogorelich gleich mit dem Prélude in fast jedem Takt starke Akzente und dynamische Schattierungen auf Kosten des barocken motorischen Flusses und inszeniert die Sarabande zwischen Drama und zartem Air. Eine Gavotte auf Zehenspitzen, eine gehämmerte Gigue: Wie abgeschlossene Welten stehen die Suitensätze nebeneinander. Doch wo ist außer der Tonart die verbindende innere Klammer?
Chopins Barcarolle op. 60 spaltet der Pianist auf in schwer lastende Akkordik oder zarte Süße ohne den natürlichen Duktus „mittlerer“ Werte, die er dann im Prélude op. 45 lyrisch traumversunken fand.
Düster-surreale Bilder von Nymphen und Gnomen
Höhepunkt: Ravels teuflisch schwieriger „Gaspard de la nuit“, düster-surreale Bilder von Nymphen, Gnomen und der trostlos öden Galgenszene. Da war Pogorelich in seinem Element, ließ betörend schöne Farben aufleuchten und bewegte die Klangmassen mit Bravour durch den Höllenpfuhl des „Scrabo“. Danach schloss sich jede Zugabe aus.