Essen. Medienstar Lang Lang versucht sich am Klavier-Olymp der Variationen – und scheitert. Seine „Goldberg-Variations“ wirken abgespult und zergrübelt.

Der Medienkult um Lang Lang, den Super-Star aus dem Reich der Mitte, hat einen Oscar als Anerkennung für eine rekordverdächtige Werbe-Strategie verdient, mit der sich ein sympathischer und begabter, aber durchaus nicht exzeptionell herausragender Musiker bereits zu Lebzeiten zum einträglichen Superstar stilisieren lässt.

Wenn jetzt diese Marketing-Ikone, angekündigt mit lauten Fanfaren-Stößen der Werbeabteilung, die Musikwelt mit Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen beglücken will, diesem monumentalen Schlüsselwerk der Klaviermusik, rückt der von Glenn Gould besetzte Ehrenplatz im Goldberg-Pianisten-Olymp in greifbare Nähe.

Glenn Goulds Einspielungen sind legendär

Die beiden Einspielungen Glenn Goulds aus den Jahren 1955 und 1981 sind in der Tat Legende und offenbaren in ihrer Gegensätzlichkeit eine Gratwanderung zwischen Genialität und Exzentrik, die durchaus nicht unumstritten ist, aber ein persönliches Profil von bestrickender Individualität und stilistischer Konsequenz aufweist.

Hören wir in die Interpretation Lang Langs hinein, ist zwar die Suche nach einer eigenen Handschrift spürbar, sie verliert sich allerdings in extravaganten Details, stellt teilweise überholten Werkvorstellungen nach und lässt vor allem keine konzeptionelle Linie erkennen.

Abgespult, seelenlos, zergrübelt

Ein Grundmangel besteht im massiven, wenig nuancierten Anschlag vor allem der linken Hand, mit dem sich etwa der tänzerisch federnde Duktus der Variationen 4 und 7 nur schwerfällig angehen lässt. Vieles klingt beiläufig glatt wie die Nummern 8 und 12, die Fuge in Nr. 16 wirkt seelenlos abgespult. Dafür werden lyrische Variationen wie die Nummern 3, 9 und 13 zu romantisch verträumten Charakterstücken aufgebläht oder zergrübelt wie etwa die Variation 16. Eine Lesart, die in einer mit bleierner Bedeutungsschwere überfrachteten und zerdehnten Nummer 25 gipfelt.

Lang Lang versucht schon, jeder Variation ein eigenes Profil zu geben, bedient sich dabei jedoch eines Sammelsuriums an Spielarten, was sowohl die persönliche Prägung des Pianisten vermissen lässt als auch eine überzeugende stilistische Richtung. Das unterscheidet Lang Langs Einspielung von denen vieler Kollegen. Über die Interpretationen von Rosalyn Tureck, Glenn Gould, András Schiff oder Igor Levit mag man streiten. Sie vertreten aber wenigstens eine seriöse Position.

Eine Folge von 30 auf Effekt getrimmten Bausteinen

Nach eigenen Angaben im Begleitheft beschäftigt sich Lang Lang seit Kindesbeinen mit Bachs Werk und hat sich bei Bach-kundigen Kollegen Rat eingeholt. Auf allzu fruchtbaren Boden scheinen die Ratschläge nicht gefallen zu sein; mehr als eine Folge von 30 auf Effekt getrimmten Bausteinen, die sich nicht zu einem zyklischen Mosaik fügen lassen wollen, hat Lang Lang nicht zu bieten.

Die Deutsche Grammophon verspricht sich von diesem „Ereignis“ so viel, dass sie die Einspielung gleich in zwei Editionen veröffentlicht: In einer Standard-Box mit zwei CDs, die nur die Studio-Aufnahme nebst Begleitheft enthält, und einer Deluxe-Ausgabe mit vier CDs, die durch einen Live-Mitschnitt aus der Leipziger Thomaskirche ergänzt wird.

Lang Lang (Klavier): J. S. Bach, Goldberg-Variations. Deutsche Grammophon. 2 oder 4 CDs, 16 bzw. 22 Euro.