Recklinghausen. Die Kunsthalle Recklinghausen präsentiert einen retrospektivischen Überblick zum Schaffen des Künstlers Kuno Gonschior, der 2010 in Bochum starb.
Mehr Ruhrgebiet in einer einzigen Ausstellung als die Kunsthalle Recklinghausen derzeit zeigt, geht wohl kaum – aber es kommt kein einziger qualmender Schlot, kein einziger Krümel Kohle drin vor!
Und das, obwohl der Maler, um den es geht, leider schon eine ganze Weile tot ist: Kuno Gonschior, 1935 in Wanne-Eickel geboren und 2010 in Bochum gestorben, der bekannteste deutsche Farbmaler der Nachkriegszeit, der seine Malweise vor allem anfangs in der Auseinandersetzung mit dem bekanntesten deutschen Farbmaler der Vorkriegszeit und des Exils entwickelte, dem in Bottrop geborenen Josef Albers (1888-1976). Zu sehen sind im Kunstbunker am Recklinghäuser Bahnhof 60 ausgewählte Gemälde von Gonschior, die weitestgehend aus Ruhrgebiets-Museen von der Duisburger Küppersmühle bis zum Märkischen Museum in Witten stammen, aus Privatsammlungen des Reviers oder aus zwei hiesigen Galerien.
Bilder aus allen Phasen des künstlerischen Schaffens
Es sind Bilder aus allen Phasen des künstlerischen Schaffens von Gonschior, beginnend mit Bildern aus seinen späten Studien-Jahren an der Düsseldorfer Akademie, wo er in Karl Otto Götz einen Lehrer fand, der in seiner Informel-Malerei mit ungeheuer dynamischen Pinselschwüngen einen ungeheuer spontan wirkenden Abdruck menschlicher Gestik hinterließ.
Gonschior hingegen versuchte es umgekehrt, er wolle „von Beginn an gleichsam wissenschaftlich wie ein Chemiker, Physiker, Psychologe, Soziologe“ erkunden, welche Wirkung Farben auf das menschliche Auge, auf die Wahrnehmung haben können. Seine Leinwand-Forschungen wurden anfangs noch mit Op-Art gleichgesetzt, jener Malerei, der optische Täuschungen oft zum Selbstzweck wurden. Gonschior aber experimentierte mit Neonfarben und Komplementärkontrasten, häufig mit Rot-Grün- oder Grün-Orange-Kombinationen, die mindestens für Schwindel sorgen, oft aber auch für Misstrauen im Auge des Betrachters. Es scheint zu flirren, zu flimmern, zu flackern auf diesen Leinwänden, die manchmal auch aus grobem Rupfen bestehen. Und wenn gleich zwei Gemälde der Schau „Rote Punkte“ heißen, so sind darauf gar keine vorhanden – sie entstehen erst, wenn man eine Weile auf die Bilder blickt, intensiv und konzentriert, auf der eigenen Netzhaut. Und verschwinden auch wieder, um woanders aufzutauchen.
Irritation nicht als Selbstzweck
Aber die Irritation war bei Gonschior kein Selbstzweck, er hatte ein Ziel: „Farbe wird erkannt als in Raum und Zeit sich ständig verändernd. Diese Wirklichkeit stellt sich zugleich dar als Ungewissheit, als nur umschreibbar und wahrscheinlich und trägt die Möglichkeit einer künftigen Konzeption, die die Grenzen und Bedingungen dieser Malerei in einen nicht endenden Prozess erweitert und verändert.“
Es lässt sich diese Ausstellung aber auch als lustvolles Abgrasen von Augenweiden erleben. Denn jenseits der erfahrungswissenschaftlichen Komponente schuf der Künstler Gonschior Werke, die neben der erkenntnispraktischen Skepsis auch eine enorme Sinnlichkeit ausatmen.
Ein Spätest-Impressionist ohne Illusion
Und schließlich erlebte der Maler auch selbst eine Art Befreiungsprozess, der sich an der chronologisch aufgebauten Ausstellung auch schlüssig nachvollziehen lässt: Ab den frühen Neunzigern malte der bis dahin so überlegt und auf Wirkung bedachte Gonschior „aus dem Bauch heraus“ und wie im Rausch, vitaler, wilder, großformatiger als zuvor, er wurde ein Spätest-Impressionist ohne Illusion.