Düsseldorf. Ferdinand von Schirachs hat mit seinem neuen Stück „Gott“, das in Düsseldorf uraufgeführt wurde, wieder ein heißes Eisen angefasst. Hingehen!

Wem gehört unser Leben? Gott, dem Staat, der Gesellschaft? Dem Partner, der Familie, der Solidargemeinschaft - oder nur uns selbst? Und, als ob die Antwort nicht schwer genug wäre: Wem gehört unser Tod? 2017 erteilte das Bundesverwaltungsgericht unter bestimmten Bedingungen die Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung. 2020 hat das Bundesverfassungsgericht auch die ärztliche Beihilfe zum Suizid zugelassen. Eine Hoffnung für Kranke. Ein Skandal für Kritiker. Zwei Urteile, die wegweisend sind.

Während Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sie eisern ignoriert, ist jetzt im Düsseldorfer Schauspielhaus eine lebhafte Debatte über Sterbehilfe entbrannt – dank der Uraufführung des Stücks „Gott“ des Autors und Rechtsanwalts Ferdinand von Schirach. Am Ende wurde wie beim Vorgänger „Terror“ abgestimmt. Ergebnis: 75 Prozent würden einem gesunden Menschen den Selbstmord erlauben.

Gesundheitsminister Jens Spahn ignoriert das Problem

Der fiktive Fall dreht sich um Richard Gärtner. Er ist 78, hat seine Frau an den Krebs verloren. Gärtner war glücklich. Doch ohne sie mag er nicht mehr. Ärzte haben ihn für körperlich und geistig gesund erklärt. Und doch will er das tödliche Medikament. Seine Kinder hat er überzeugt. „Ich will nicht sabbernd an Schläuchen hängen oder dement werden. Ich will als ordentlicher Mensch sterben.“ Seiner Frau wurde die Sterbehilfe nicht ermöglicht. „Mach’ es richtig“, sagte sie. Nun will Gärtner mit dem Suizid ein ein Exempel statuieren.

Wolfgang Reinbacher ist ein toller Richard Gärtner, den der Ethikrat per Video zuschaltet. Er ist der traurigste Mensch der Welt, aber als er mit dem Bischof streitet, wird er so wütend, dass man den Kopf einzieht. Sein Vortrag geht ans Herz, aber er ist auch sachlich - ein Balanceakt, den Stück und Regie (Robert Gerloff) vorgeben. Der Abend ist weder kitschig noch larmoyant. Er ist - hochinteressant!

Die Vorsitzende des Ethikrats (Judith Bohle) begrüßt uns als stimmberechtigte Mitglieder. Auf Vorträge folgen Befragungen durch Gärtners Rechtsanwältin (herrlich schnippisch: Cathleen Baumann) und ein Ratsmitglied (Friederike Wagner). Am Ende müssen wir entscheiden.

Das Stück ist zu klug, um eine Antwort zu geben. Wir müssen abstimmen

Gärtner hat Anspruch auf das Medikament, sagt die Professorin für Verfassungsrecht (Hanna Werth). „Es gibt keine Rechtspflicht, zu leben“. Vergleiche mit der Euthanasie der NS-Zeit lässt sie nicht zu. „Das waren Morde!“ Dann Professor Sperling, Bundesärztekammer (Andreas Grothgar): Der Tod sei nie das Ziel, das Leben unbedingt erhaltenswert, verweist er auf den Eid des Hippokrates. Das Leben sei heilig, so auch Bischof Thiel, Bischofskonferenz (Thomas Wittmann). Leid sei zu ertragen, weil als Prüfung vorgesehen. Er schildert den Fall einer 31-Jährigen, die sterben möchte, weil sie sich schuldig fühlt. „Wollen sie dieser Frau ein Medikament geben, das sie tötet?“

Und? Würden wir? Das Stück ist zu klug, um eine Antwort zu geben. Ein „Wir“ wird bei dieser Frage niemals existieren. Man muss ihn also aushalten, den bestenfalls friedlichen Dissens. Die Menschlichkeit als höchster Kritiker und letzter Richter? Die Debatte hat begonnen. Also: Hingehen!

Zwei Stunden. Infos/Termine www.dhaus.de, Tel.0211 369911.