Düsseldorf. . „Terror“ ist das Theaterstück der Saison. Es stiftet heftige Diskussionen im Publikum über Grundwerte und Entscheidungen. Jetzt auch in Düsseldorf.

Es ist das Stück des Jahres: Ferdinand von Schirachs „Terror“, uraufgeführt am Tag der deutschen Einheit in Frankfurt und Berlin zugleich, seit dem Wochenende zudem in Baden-Baden, in Göttingen und nach einer fulminant gefeierten Premiere jetzt auch im Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen, 13 weitere Theater folgen noch. „Terror“ ist ein Zwei-Stunden-Stück, mit einer Pause zehn Minuten vor dem Ende, das jedesmal anders ausfallen kann. Ein Stück, in dem Szenenbeifall und Zwischenrufe nicht dem Können der Schauspieler gelten, sondern dem, was sie sagen.

Vor allem aber löst „Terror“ das ein, was viele Stadttheater-Inszenierungen immer nur behaupten: Es entwickelt politische Relevanz, es dreht sich um Grundfragen der Gesellschaft, zwingt zum Nachdenken über Werte und Wirklichkeit, stiftet Diskussionen an. Der Lärmpegel in der Pause liegt doppelt so hoch wie sonst – und alle, alle reden über das Thema, das dieses Stück setzt: Ist die Würde des Menschen wichtiger als der Kampf gegen den Terror?

Schuldig oder nicht schuldig? Das Publikum muss entscheiden

Das Stück urteilt in einem Gerichtsverfahren über Schuld und Unschuld eines Bundeswehr-Piloten, der befehlswidrig eine entführte Passagiermaschine mit 164 Menschen an Bord abgeschossen hat; sie flog auf die Arena in München zu, wo 70.000 Menschen das Länderspiel Deutschland-England verfolgen. Ein Terrorist hat die Maschine entführt. Am Ende stimmen die Zuschauer ab – schuldig oder nicht schuldig? Von Schirach hat dem Vorsitzenden Richter für jedes der beiden denkbaren Urteile eine Begründung geschrieben, knapp drei Seiten lang.

In der Wirklichkeit draußen vor dem Theater ist der Abschuss einer Zivilmaschine mit unschuldigen Insassen zum Zweck der Terrorabwehr verboten. Das „Luftsicherheitsgesetz“, das die rot-grüne Bundesregierung nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erließ und das solche Abschüsse erlaubte, hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 wieder einkassiert: Die in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierte Würde des Menschen, so das Gericht, verbiete die Tötung Unschuldiger und die zahlenmäßige Abwägung von Menschenleben gegeneinander, weil jedes Leben unendlich wertvoll sei.

Nicole Heesters als Staatsanwältin

Auch der Strafrechtsanwalt von Schirach hat in Essays mehrfach und mit guten Argumenten dargelegt, dass der Schutz der Menschenwürde wichtiger ist als alles andere – und ohne ihn auch der Terrorabwehr die Grundlage fehlt. So macht er in seinem Stück die Staatsanwältin zu einer starken Figur, und Nicole Heesters spielt sie in Düsseldorf mit glänzender Souveränität aus: Sie fragt bohrend, warum niemand die Räumung der ausverkauften Arena angeordnet hat, obwohl deren Notfallpläne vorsehen, das in 50 Minuten zu schaffen und es bis zum berechneten Aufprall der Maschine 52 Minuten gewesen wären. Noch mehr Zweifel an der Entscheidung des Piloten sät aber die SMS eines Passagiers an seine Frau, die auf dem Flughafen wartete: „Terroristen haben uns entführt. Wir versuchen ins Cockpit zu kommen. Habe bitte keine Angst, wir schaffen das.“

Und doch: Die Düsseldorfer Premierenbesucher entschieden sich mit 326 zu 256 Stimmen für den Freispruch des Piloten. Und sie liegen damit im bisherigen Bundestrend: Zusammengenommen haben sich 55,1 Prozent aller bisherigen „Terror“-Zuschauer für einen Freispruch des Piloten entschieden.

Der Premierenjubel galt dem Regieteam von Kurt Josef Schildknecht, das die Vorlage textgetreu umsetzte, ebenso wie den Mimen von Wolfgang Reinbacher als Richter über Andreas Grothgar als Verteidiger bis Moritz von Treuenfels als angeklagter Pilot. Und am Ende auch dem Autor, der aus dem Zuschauerraum auf die Bühne eilte.