Essen. Erst die „Pubertiere“, jetzt die „Ältern“: Jan Weiler legt nach. Im neuen Buch fragt er: Was bleibt, wenn die Kinder – endlich! – groß sind?

Und irgendwann können sich die Kinder „die Schuhe zubinden und alleine nach Berlin fahren“, können selbst den Wecker stellen und sogar eigenständig Maßnahmen zur Nahrungsaufnahme ergreifen. Kurz: „Alles begann damit, dass mir mein Erziehungsauftrag allmählich abhandenkam.“ Mit diesem Satz eröffnet Jan Weiler, der in seinen buchgewordenen Kolumnen das Aufwachsen von „Pubertieren“ begleitet hat, nun Beobachtungen zu seiner eigenen Transformation: „Es ist nicht nur so, dass die Kinder erwachsen werden. Wir verändern uns auch. Aus Eltern werden Ältern.“

Ist das gut? Jan Weiler beurteilt nicht, er beobachtet, und zwar auf gewohnt (selbst-)ironische Weise. Einmal mehr geht es um vergangene Schlachten – Zahnpastareste im Waschbecken, Müslireste in Schüsseln, die unentdeckt unter Betten gären. Die Moral für die erheiterte Leserschaft besteht in der Erkenntnis, dass auch dieser Älternteil es nicht besser kann als alle anderen.

Wertvolle Tipps für die moderne, sanktionslose Erziehung

In seltenen Fällen allerdings gibt es wertvolle Tipps für die moderne, sanktionslose Erziehung: „Wenn das Essen fertig ist, ziehe ich den Router aus der Wand – und Simsalabim stehen die beiden in der Küche. Sie kommen, um sich zu beschweren, weil das Internet nicht geht. Dabei sehen sie aus wie Pauschalurlauber an der Rezeption eines griechischen Dreisternehotels. Und ich sage: ,Kein Internet, das ist schlimm. Aber zum Glück: Ist das Essen fertig!’ Das kann man sehr oft machen“, schreibt Jan Weiler, dessen Kinder Carla und Nick eben auch nicht klüger sind als alle anderen Kinder: „Komischerweise stellen sie den Zusammenhang zwischen Internet-Flaute und Abendessen bislang nicht her.“

Der Autor Jan Weiler hat sein neues Buch „Die Ältern“ genannt.
Der Autor Jan Weiler hat sein neues Buch „Die Ältern“ genannt. © dpa | Henning Kaiser

Spätestens, seit Jan Josef Liefers und Heike Makatsch in der Romanverfilmung „Das Pubertier“ in den Rollen des um Haltung ringenden Elternpaars zu sehen waren, dürfte klar sein: Weilers Kolumnen sind Rollenprosa, gewürzt mit authentischem Erleben. Und so dürfen wir die nun geschilderte Talfahrt des Familienlebens, die in der Aufsplittung des Haushalts in eine Mädels-WG und eine Jungs-WG mündet, wohl als Versuch lesen, der gemeinsamen Drehbucharbeit mit Leander Haußmann zuvorzukommen – und gleich mal die dramatische Rahmenhandlung mitzuliefern.

Schwanken zwischen Stolz und Trauer

Was bleibt, wenn die Kinder – endlich! – groß sind? Die Erkenntnis, dass das alles viel zu schnell ging. Wenn das Ex-Pubertier Nick noch vor dem Abitur mit der Gründung seines ersten Startup-Lieferservice befasst ist, schwankt der Vater zwischen Stolz und Trauer: „Manchmal bringt mich diese frühe Erwachsenheit zur Verzweiflung. Diese Geschäftstüchtigkeit. Dieser Sinn für das Ferne. Wir waren jedenfalls länger jung.“

Und wären gerne auch weniger früh alt: „Mein Selbstoptimierungswahn hat zuletzt Blüten getrieben, die ich in ihrer sinnlosen Pracht bewundere und gleichzeitig beängstigend finde“, schreibt Jan Weiler: Nach Jahrzehnten im Hamsterrad der Erziehungsarbeit scheint das Bahnenziehen in einem chlorig müffelnden Hallenbad eher wie der verwässerte Ausdruck eines Wiederholungszwangs denn wie die freudvolle Zurückeroberung des „eigenen“ Lebens.

Jan Weiler: Die Ältern. Piper Verlag, 155 Seiten, 15 €