Düsseldorf. Der große Choreograph prägte am Rhein eine Ära. Nun geht Martin Schläpfer ans Staatsballett nach Wien. Ein Interview.
Nicht jedem, der geht, schreibt man eine Ära zu. Im Falle Martin Schläpfers gibt es keinen Zweifel: Das Ballett am Rhein erlebte unter seiner Intendanz (2009-2020) eine so glanzvolle wie außergewöhnliche Zeit. Vor Schläpfers Umzug nach Wien, wo der 61-jährige Schweizer Chef des Staatsballetts wird, traf Lars von der Gönna ihn zum Gespräch.
Haben Sie schon genug Distanz, zu sagen, was Sie hinter sich lassen?
Gänzlich nicht, da brauch’ ich sicher noch mehr Abstand. Klar ist aber schon: Für mich – vorher war ich ja bereits ein Jahrzehnt in Mainz – ist es auch ein Abschied von Deutschland. Der fällt mir nicht leicht.
Warum?
Ich mag Deutschland als Land sehr gern, wie es denkt, wie es schreibt, wie es mit den Dingen umgeht. Auch das Intellektuelle: dieser Mut, tiefer zu schauen, Dingen auf den Grund zu gehen.
Das Intellektuelle hat Sie neben vielen Gaben ausgezeichnet: Als Choreograph zeichnet sie eine üppige Bildung aus. Dazu fünf Tageszeitungen und immer mehrere Bücher im Anschlag – da kam nichts allein „aus dem Bauch“...
Es ist für mich erstens einfach ein Anspruch, den ein so stark subventionierte Künstler haben muss. Quasi als Gegenleistung, etwas zu bieten, das nicht normal ist sondern weit über Durchschnitt. Das andere resultiert tief aus meiner Kindheit. Es ist Nachholbedarf! Ich bin der einzige Nicht-Akademiker unter meinen Brüdern, hatte früher den Komplex, nicht gebildet zu sein. Darum wollte ich nach meiner Tänzerlaufbahn eigentlich das Abitur nachholen. Heute kann ich akzeptieren, dass ich als Tänzer eine andere Form von Intelligenz und Wissen habe. Aber davon abgesehen: Ich liebe einfach Lesen und Literatur.
Fiel dabei immer etwas für den Tanz ab?
Oft. Es geht ja nicht nur um schöne Literatur. Obwohl ich schon auch ein Träumer und Poet bin. Ich hab immer versucht, den Ping-Pong zwischen Bauch und Kopf auch im Tanz zu pflegen. Auch aus einem Wirtschaftsteil können Impulse für eine Ballettkompanie kommen: wie ist eine moderne Firma aufgestellt, solche Dinge...
Was bleibt als persönliche Erinnerung Ihrer Arbeit hier?
Dass die Zeit in Düsseldorf und Duisburg eine wichtige und gute war. Diese Gefühle kommen jetzt. Ob es eine Liebe ist, ob man ein Land verlässt oder einen Menschen verliert – was etwas bedeutet, merkt man ja meist im Leben erst, wenn man es nicht mehr hat. Das muss nicht leidend sein, genauso kann es Dankbarkeit sein.
Wien ist ein Karriere-Gipfel. Staunen Sie manchmal selbst, dass ein Appenzeller Junge, der aus einem nicht sehr musischen Haus kam und mal Biobauer werden wollte, so weit gekommen ist?
Ich hatte kein Elternhaus, dass mich als Tänzer wollte. Das war ‘ne harte Zeit. Selbst als ich im Ballett sehr erfolgreich war, kam eigentlich nie jemand in eine Vorstellung. Umso mehr musste ich für mich alles mobilisieren, das treibt einen auch an. Wenn man im Leben immer nur eine „Green Card“ bekommt, ist es vielleicht zu einfach. Rückblickend habe ich meinen Weg auch Hindernissen und Krisen zu verdanken. Was einen prägt, ist ab einem gewissen Punkt nicht mehr zu trennen, von dem, was man erreicht. Ich find’ aber durchaus: So extrem wie bei mir hätte es nicht sein müssen.
Ihre Erfolge am Rhein hatten enorme Strahlkraft. Waren Sie sich Ihrer Sache immer sicher? Gar stolz, auf dem Zenit zu sein?
Als Tänzer war ich zwar introvertiert, aber selbstsicher. Als Choreograph war das weniger selbstverständlich. In letzter Zeit geht es schon. Stolz ist nicht so mein Begriff, das Wort hat mir einen zu scharfen Lack. Zufriedenheit trifft es eher. Doch, ja, für die Zeit am Rhein gilt es rückblickend bestimmt.
Wird mit Ihrer so großen Erfahrung das Machen von Kunst leichter oder schwieriger?
Das Zweite! Aber die Kreativ-Angst ist weniger schlimm oder man lernt mit ihr umzugehen. Es gibt vielleicht ein unsichtbares Netz: Man weiß, dass man nicht mehr unter ein gewisses Niveau fällt. Aber für den Weg zur Kunst bringt Erfahrung gar nichts. Man fängt jedes Mal neu an.
Ihr Amt stellte sie häufig ins Zentrum. Dabei empfinde ich Sie als scheu. Es gibt ein Foto, da umarmt sie Rheinopern-Intendant Meyer. Sie lächeln, verschließen aber doch die Arme. Mögen Sie nicht vereinnahmt werden?
Ein Freund hat mal zu mir gesagt, ich ließe die Menschen nur in den Vorgarten, nie ins Haus. Das hat mir wehgetan, aber er liegt wohl nicht verkehrt damit. Ich bin offen und warmherzig, aber es gibt auch ein Bedürfnis des Schutzes, vielleicht hat es auch mit der Kunst zu tun.
Was ich Sie immer fragen wollte: In Ihrem Büro hängt das Bild eines afrikanischen Kaffernbüffels. Das ist ein einigermaßen ungewöhnliches Motiv für einen Ballettmacher...
Dieses Tier hat mich schon als Kind fasziniert. Es ist hochästhetisch. Die Stärke, die Schönheit, eine gewisse Sturheit! Manchmal verlieren sogar Löwen gegen sie. Es wundert Sie vielleicht, wenn ein Tanzmensch das sagt, aber in meinem Beruf hatte ich manchmal das Gefühl, ich sei ein Bulle. Nicht wegen der Potenz, sondern weil man so kämpfen musste: stark bleiben, nicht zurückweichen! Natürlich ist das ein Zwiespalt zu meiner privaten Persönlichkeit.
Zieht das Bild mit nach Wien?
Der Kaffernbüffel zieht ganz sicher in mein neues Büro!
-----------------------
BUCH ZUM ABSCHIED
Aus vielen Gesprächen mit der Journalistin Bettina Trouwborst über Kunst und Leben ist ein beeindruckendes Buch über den Menschen und Choreographen Martin Schläpfer entstanden.
Eben erschienen, wirkt es wie eine Abschiedsgabe. Eine fesselnde Lektüre für alle Tanzfreunde: „Mein Tanz, mein Leben“, Henschel Verlag, 160 Seiten, 80 Abbildungen, 30€.