Essen. In Düsseldorf geboren, in Oberhausen aufgewachsen, in aller Welt bekannt: Filmemacher Wim Wenders kann heute seinen 75. Geburtstag feiern.

Vielleicht ist dieser Mann ein Richard Wagner für das späte 20. Jahrhundert: Ernst Wilhelm Wenders (der so heißt, weil nach seiner Geburt heute vor 75 Jahren in Düsseldorf der Standesbeamte den holländischen Namen Wim nicht akzeptierte) ist ein Filmemacher, der seine Stoffe nicht selten aus Romanen heraus entwickelt. Aber manchmal auch aus der Musik, die für ihn weit mehr ist als eine bloße Begleitung auf der Tonspur seiner Filme. Wim Wenders ist ein sinfonischer Erzähler, der sich die Instrumente nach dem Stoff aussucht, den er an die Menschen bringen möchte.

Eigentlich wollte er etwas anderes werden: „Ich bin ein verhinderter Maler“, sagt er über sich: „Meine Filme sind nur eine Verlängerung der Malerei. Irgendwann habe ich gemerkt, dass man mit Filmen besser erzählen kann.“ 1960, mit 15, musste Wenders aus Düsseldorf, wo er mit vier Jahren beinahe im Rhein ertrunken wäre, nach Oberhausen-Sterkrade umziehen – sein Vater wurde Chefarzt im Krankenhaus dort. Das Revier fand Wenders, wie er sich erinnert, „potthässlich“. Aber durch seinen Fotoapparat freundete er sich auch damit an.

„Paris, Texas“ mit Harry Dean Stanton und Ry Cooder

Nach dem Ausprobieren diverser Studienfächer und -städte Mitte der 60er-Jahre, nach einer erfolglosen Bewerbung an der Düsseldorfer Kunstakademie ging Wenders als Aquarellmaler nach Paris, verbrachte dort aber ganze Tage im Kino. Was sich im Nachhinein als Grundlagenstudium erweisen sollte. Wenders’ Filme fußen, ohne das in großen Anspielungsorgien herauszustellen, sichtbar, fühlbar, hörbar auf der Tradition des europäischen Films, bei aller Bewunderung für unendliche Weiten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem er 15 Jahre lang gelebt hat.

Selbst Wenders’ amerikanischster Film „Paris, Texas“, für den es in Cannes die „Goldene Palme“ gab, lebt von den intensiven Bildern verletzlicher, sich abkapselnder Menschen und jenem flirrenden, geradezu stoisch-mystischen Soundtrack des Gitarrenmagiers Ry Cooder.

Eingeladen von Francis Ford Coppola, gescheitert an „Hammett“

„Paris, Texas“ (1984) brach das Trauma, das sich Wenders auf Einladung von Francis Ford Coppola geholt hatte, der von ihm einen „Hammett“-Film über den gleichnamigen Krimischreiber erwartete. Es sollte über vier Jahre dauern, bis der Film in die Kinos kam. Aber vor allem stellte sich heraus, dass Wenders, der Prototyp des Autorenfilmers, die allergrößten Schwierigkeiten hatte, ein Drehbuch 1:1 in einen Film umzusetzen – wie Heinrich von Kleist von der allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden sprach, so kann man im Blick auf Wenders von einer allmählichen Verfertigung von Filmen beim Drehen ausgehen. Ihm kommt es weniger auf die Geschichten an als auf die Momente, Stimmungen, Eindrücke, die er erzählen will.

Peter Falk und Heinz Rühmann

Wenders gelang es oft, markante Schauspieler wie Otto Sander („Der Himmel über Berlin“), Bruno Ganz, Peter Falk und Heinz Rühmann bei seinem letzten Film-Auftritt (in der Fortsetzung „In weiter Ferne so nah“), James Franco oder Harry Dean Stanton zu gewinnen – und Musiker sonder Zahl für Filme wie „Bis ans Ende der Welt“ (Patti Smith, R.E.M., U2, Depeche Mode, Nick Cave).

„Paris, Texas“-Gitarrist Ry Cooder brachte Wenders mit den alten Jungs vom „Buena Vista Social Club“ zusammen. Für seine Dokumentation über die jahrzehntelang vergessenen Son-Musiker von Havanna (1999) erntete dieser nicht nur den Europäischen Filmpreis und eine Goldene Kamera, sondern auch eine Oscar-Nominierung – wie später für auch seine Dokumentationen über das Tanztheater von Pina Bausch (2011). Je älter Wenders wurde, desto erfolgreicher gerieten ihm seine Dokumentarfilme bis hin zum (ebenfalls oscar-nominierten) „Salz der Erde“ über den brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado – ein Film, der allerdings mit so viel Suggestion und Emotion arbeitet, dass die Grenzen des Dokumentarischen enorm verschwimmen.

Unkritisches Franziskus-Porträt

Sogar völlig unkritisch, ja schon fast kitschig-verehrend fiel das Porträt von Papst Franziskus aus, das Wenders im Gespräch mit ihm drehen durfte, nachdem er schon Ende 2015 bei der Direktübertragung der Eröffnung zum Heiligen Jahr vom Petersplatz Regie führen durfte. Wenders, vom katholischen zum protestantischen Glauben übergetreten, bezeichnet sich als ökumenischen Christen. Von der Unfehlbarkeit aber ist er genauso weit entfernt wie eh und je. Sein überragendes Lebenswerk verträgt allerdings auch das ohne weiteres.