Essen. Er setzt sich ein für kulturelle Identität und politische Selbstbestimmung seiner Heimat: Der griechische Komponist Mikis Theodorakis wird 95.

Geradezu animalische Lebensfreude strahlt Anthony Quinn aus, wenn er als „Alexis Sorbas“ den Sirtaki tanzt. So lieben wir das sonnige Griechenland. Doch gerade dieser Hit spiegelt das von extremen Höhen und Tiefen geprägte Leben des Komponisten Mikis Theodorakis in aller Eindringlichkeit wider.

„Alexis Sorbas“ machte Theodorakis 1964 weltberühmt, drei Jahre später tanzte er ihn selbst: in einer kleinen Gefängniszelle der Militärdiktatur, um gegen die eisige Kälte griechischer Kerkernächte anzukämpfen. Mit ihren Wechselbädern zwischen kultischer Verehrung und brutaler Unterdrückung ähnelt Theodorakis’ entfernt der Biografie Nelson Mandelas.

Faschisten, Engländer, Militärs

Vor 25 Jahren wunderte sich Theodorakis, dass er, der seit seiner Jugend wiederholt gefoltert und eingesperrt wurde, der im Gefängnis an Tuberkulose erkrankte, dass er, der ebenso sensible wie unbeugsame Widerstandskämpfer überhaupt seinen 70. Geburtstag erleben durfte. Am 29. Juli 2020 vollendet die „Stimme Griechenlands“ ihr 95. Lebensjahr. So sehr seine folkloristisch gefärbte Musik über Griechenland hinaus wirkte: Für ihn ging es stets um die kulturelle Identität und politische Selbstbestimmung seiner Heimat.

Mit 18 Jahren wurde er zum ersten Mal gefoltert, von den Faschisten. Nach dem Krieg sperrten ihn die Engländer ein. Es folgte eine Periode relativer Freiheit, bevor er drei Jahre in den „Schlachthäusern“ der griechischen Putschisten-Junta verbrachte. 1970 ging er ins französische Exil, um bei Olivier Messiaen zu studieren. Hier entstand sein „Canto General“, sein Freiheits-Credo nach Texten Pablo Nerudas.

Mikis Theodorakis für Friedensnobelpreis vorgeschlagen

Das Ansehen von Theodorakis und seiner künstlerisch-politischen Weggefährtin Melina Mercouri in Griechenland nahm kultische Dimensionen an. Von 1990 bis 1992 wirkte er sogar als Staatsminister. Dass ihn eine prominente Jury unter Vorsitz des Ministerpräsidenten Kostas Simitis für den Friedensnobelpreis vorschlug, verwundert nicht. Und überall, wo Unrecht auftrat, erhob Theodorakis seine Stimme. Er setzte sich für die Aussöhnung von Griechen und Türken ein, er richtete leidenschaftliche Appelle gegen den Einsatz der Nato-Truppen im Kosovo, gegen die israelische Palästinenserpolitik und den Irak-Krieg. Haltungen, die ihm nicht nur Freunde einbrachten.

So untrennbar Theodorakis’ Schaffen mit seiner politischen Signalwirkung verbunden ist, so klein ist der Anteil direkt politisch motivierter Musik in seinem gewaltigen, mehr als 1000 Werke umfassenden Œuvre. Zunehmend widmete er sich klassischen Gattungen wie Symphonik oder Oper. Mit strengen Vertonungen der nahezu ungekürzten Dramen „Medea“, „Elektra“, „Antigone“ und „Lysistrate“ suchte Theodorakis die Wurzeln der griechischen Kultur.

Bei Demonstration durch Tränengas schwer verletzt

Auch wenn er in den vergangenen Jahren nicht mehr öffentlich aufgetreten ist, nutzt er seine umfangreiche Homepage, um gegen Unrecht und Terror zu kämpfen. 2012 noch nahm Mikis Theodorakis, im Rollstuhl sitzend, in Athen an einer Demonstration gegen die „Troika“ teil. Dabei wurde er durch Tränengas schwer verletzt, und noch heute leidet er daran.