An Rhein und Ruhr. Immer wieder werden Kunstwerke und Denkmäler Opfer von Zerstörungswut. Warum uns Angriffe auf die „Alltagsmenschen“ besonders hart treffen.
Sie werden immer wieder zum Opfer, die „Alltagsmenschen“ von Christel Lechner. Mit Farbe beschmiert, umgeworfen, zerstört. So wie jetzt in Moers und Rheinberg geschah dies auch schon an vielen anderen Orten, wo die Künstlerin aus Witten ihre Werke präsentierte.„Vandalismus“ lautet dann das Schlagwort – in seiner strengeren Definition: Gewalt gegen Kunst und Kunstwerke – so wird der Begriff des Vandalismus zunächst gebraucht.
Denn geprägt wurde er durch den französischen Bischof Henri Grégoire, der 1794 mit diesem Begriff die Plünderung der Königsgräber in der Kathedrale von Saint Denis belegte. Mit dem Einfall der germanischen Vandalen im Jahre 455 in Rom hat der Begriff schon damals gar nichts mehr zu tun. Die Vandalen des Frühmittelalters verhielten sich eigentlich eher so sachlich wie Einbrecher heutiger Tage, denen es in der Regel um die Beute und nicht um Zerstörung geht. Erst die Geschichtsschreibung verpasste ihnen das immer finsterer werdende Image der brutalen Zerstörer.
Vandalismus gibt es auch von Staats wegen: gegen den Fetisch Auto
Zerstörer, deren Treiben im Falle der Alltagsmenschen und auch sonst, so gerne als „sinnlose Zerstörungswut“ beschrieben wird. Ganz so, als gäbe es Zerstörung auch in höchst sinnvoller Weise. Wobei: Ja, genau das wird uns weiß gemacht, ohne dass wir es merken: Der größte Vandalismus gegen unseren Fetisch Auto beispielsweise ist nicht das nächtliche Abbrechen von Spiegeln und Antennen und die Schlüsselkratzer im Lack.
Es sind und waren die Abwrackprämien, für die weitaus größere Millionenwerte auf dem Altar des Überlebens der heimischen Automobilwirtschaft geopfert wurden. Tag für Tag betreiben wir Vandalismus gegen die Natur im Namen eines Wachstumsfetisches. Vandalismus wird derlei nur deswegen nicht genannt, weil wir Natur in diesem Moment nicht als Kunstwerk begreifen.
Und Vandalismus war es selbstverständlich auch nicht, als Bonifacius bei der Bekehrung unserer Region die Eiche des Thor, das Heiligtum der Germanen, fällte.
Und ob es heute Vandalismus ist, wenn in den USA die Denkmäler der Südstaatenhelden geschliffen werden, hängt vom Standpunkt ab. Trump sieht das bekanntlich anders als die Black-Lives-Matter-Aktivisten.
Die Re-Islamisierung der Hagia Sophia - auch das kann als Vandalismus gedeutet werden
Genauso offen interpretierbar ist die Frage, ob es nicht Vandalismus gegen Aufklärung, Neuzeit und Toleranz ist, wenn Erdogan die Hagia Sophia für den Islam wiederbesetzen lässt. Oder - nur aus unserer Sicht - eindeutig, wenn Taliban 2012 Buddhastatuen schleifen.
Auch interessant
Vandalismus gegen Kunst im öffentlichen Raum jedoch ist ein Preis, den Künstlerinnen und Künstler oft sogar bereit sind zu zahlen, mindestens jedoch einkalkulieren. Einem Kunstwerk, das nicht provoziert, herausfordert, anstößt, zum Streit aufruft, droht Schlimmeres: Der Beigeschmack der Beliebigkeit.
Die als größter Mülleimer der Stadt missbrauchte Spirale von Serge Spitzer auf dem Essener Kennedyplatz (die offiziell „Untitled Essen“ heißt) oder das zum öffentlichen Pissoir gewordene „Terminal“ von Richard Serra vor dem Bochumer Hauptbahnhof nehmen die ständige Herabwürdigung in Kauf, sie trotzen der Gewalt des Alltags und der Gewalttätigkeit der Städte.
Graffiti: Vandalismus oder Kunst? Eine Frage der Perspektive
Jener Städte, die uns den Kampf mit den Herausforderungen der Natur abgenommen haben, aber vor allem junge Männer immer wieder vor die Frage stellen, wo sie denn bitteschön hinsollen mit ihrer Kraft, ihrem Testosteron, ihrem Drang nach Selbstbestätigung und Selbstwirksamkeit. Im harmlosesten Falle wird Selbstwirksamkeit durch Schmierereien markiert. „Tags“ heißen die Kritzeleien mit Edding und Klinge. Das künstlerische Äquivalent zum Bäume anpinkeln des Hundes: Reviermarkierung. Serge Spitzers Spirale kündet fast täglich davon. So, wie es mit Aufklebern an Laternenpfählen geschieht.
Der Übergang vom Tag zum Graffito, vom Graffito zum Kunstwerk – er vollzieht sich schrittweise. Und liegt oft genug im Auge des Betrachters. Bengel oder Banksy? Dazwischen liegen Millionenwerte. Nicht in Ausführung und Material, sondern in der Bewertung.
Wo es keine Drachen mehr zu töten gibt und kein Wolf erlegt werden darf, wo jetzt sogar ritualisierte Auseinandersetzungen im Sport unterbunden werden müssen, da wandelt sich die überschüssige Energie der Heranwachsenden unter Beimischung von Gruppenzwang, Alkohol und anderer Drogen zur Wut gegen Dinge, gegen die Kunst – und wie zuletzt in Frankfurt und Stuttgart – am Ende auch gegen die Ordnungskräfte des Staates.
Und nein: Weder Corona noch Testosteron sind eine Entschuldigung für solche Verbrechen, eine mögliche Erklärung sind sie hingegen schon. Dort wurden keine Denkmäler gestürmt, keine Kunstwerke vernichtet, sondern Menschen angegriffen, die allerdings nicht zufällig die Staatsgewalt repräsentierten.
Der Vandalismus gegen die Alltagsmenschen jedoch trifft uns besonders
Auch interessant
Davon sind die Alltagsmenschen der Christel Lechner mit ihren freundlichen Gesichtern weit entfernt. Ihre fast adipösen Rundungen vermeiden jedes Anecken, sie kommen unpolitisch und unprovokativ daher. Dieser Vandalismus trifft uns genau deswegen besonders ins Herz. Denn wir spüren: Hier findet keine gewalttätige Auseinandersetzung mit der ebenso brutalen Wirklichkeit statt, hier fühlen wir uns plötzlich mit angestoßen und umgeworfen. Wenn im Rheinberger Stadtpark lebensechte Wohlfühlfiguren vernichtet werden – dann sind wir plötzlich mitgemeint.
Zu Bismarck und Kolumbus, zu Serra und Spitzer können wir uns distanzieren – doch Alltagsmenschen sind wir alle. Und es trifft uns umso mehr, weil unser Alltag in diesen Monaten schon oft genug umgeworfen und zerstört wurde. Unauflöslich tragisch wird Vandalismus erst recht, wenn es die gleichen Motive sind, die uns betroffen machen und die Täter haben agieren lassen. So wenig es Kunstwerke gibt, die gänzlich unpolitisch sind, so wenig ist Vandalismus je unpolitisch. Auch, wenn die gewalttrunkenen Täter dies im Moment ihres zerstörerischen Handelns vielleicht gar nicht bemerken.