Mülheim/Düsseldorf. Kunst soll neue Heimatorte im Ruhrgebiet schaffen: NRW-Heimatministerium verteilt 1,5 Millionen Euro auf 20 Projekte zwischen Duisburg und Hamm.

Der Anspruch ist, dass Kunst neue Heimatorte im Ruhrgebiet schaffen soll, und dafür stellt das nordrhein-westfälische Gemischtwaren-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung nun 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Damit sollen in 13 Städten des Ruhrgebiets Musik-, Malerei-, Literatur-, Performance- und Theaterprojekte der unterschiedlichsten Art an 20 Projekt-Orten in Gang gesetzt werden. Die Fördersummen reichen von 12.000 bis zu 267.000 Euro für ein „Experimentierfeld Heimat“ in Dortmund. Dort will die Dortmunder Tanz- und Theaterszene am Kulturort „Depot“ einen lokalen Leerstand anmieten, um dauerhaft ein „transkulturelles und inklusives Zentrum für darstellende Künste“ zu etablieren.

NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) kündigte soeben in Mülheim bei der Vorstellung des Programms an, dass es eine weitere Förder-Runde mit eine Budget von noch einmal 1,5 Millionen Euro geben soll.

Manche alte Bekannte: Zeche Carl, Kunsthalle Recklinghausen, Seepavillons

Unter den Akteuren, Projekten und Orten des „#heimatruhr“-Programms befinden sich manche alte Bekannte wie die sechs schwimmenden Pavillons auf dem Baldeneysee, die Vereinen und Kulturschaffenden auch langfristig zur Verfügung gestellt werden sollen. Oder die Kunsthalle Recklinghausen, die in einem Workshop mit ehemaligen Bergleuten eine Bemalung für die einstige Trasse der Zeche Blumenthal samt Unterführung entwickelt hat; schließlich auch die Essener Zeche Carl, die mit Jugendlichen gemeinsam brachliegende Gebäude erschließen und neu nutzen will. Und die Gelsenkirchener Initiative Jazz & Kunst e.V. will Jazz und Neue Musik an „ungewöhnliche Orte“ bringen wie Schloss Horst, den Nordsternturm oder Burg Lüttinghoff.

„Schaubüdchen für kleine Künste“

Aber es gibt auch originelle, unvermutete Ideen wie ein „Schaubüdchen“ genannter „Kiosk für kleine Künste“ in der Bochumer Innenstadt; am Bochumer Imbuschplatz soll eine Ausstellung über dessen Geschichte unter anderem als Platz der Bücherverbrennung entstehen, aber auch ein Begegnungsort für Künstler der „ko-fabrik“ und des „Zeitmaultheaters“ mit den Anwohnern des Platzes. In Ruhrort wird ein ehemaliger Supermarkt für ein Jahr angemietet, damit Kunstschaffende dort auf 800 Quadratmetern arbeiten können, aber auch einen „lebendigen Adventskalender“, Nachbarschaftstreffs sowie Film- und Musikabende anzubieten. Die Projekte reichen räumlich von der Zeche Lohberg in Dinslaken bis zum Kreativquartier Hamm und vom Wittener Wiesenviertel bis zum Kreativquartier Herten, wo unter dem Titel „Denk Mal“ sieben Skulpturen entstehen sollen, welche „die verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers abbilden“.

10.000 „Kreative“ im Ruhrgebiet angeschrieben

Dass unter den Akteuren fünf ehemalige Kreativquartiere der Kulturhauptstadt sind, ist kein Zufall: Betreut wird die Vergabe der Projektgelder vom Kreativwirtschaftszentrum im Dortmunder U-Turm („ecce“), in dem der ehemalige Kulturhauptstadtdirektor Dieter Gorny ein Betätigungsfeld gefunden hat. Weiterhin betreut wurde das Projekt vom Institut Arbeit und Technik an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen/Bocholt/Recklinghausen. Das hatte umfassende Fragebögen an 10.000 (!) Künstlerinnen und Künstler im gesamten Ruhrgebiet geschickt, in denen detailliert nach ihrem Heimatbezug zum Ruhrgebiet gefragt wurde und auf denen dann auch Projektvorschläge hinterlegt werden konnten. Geantwortet hatten „744 Beschäftigte der Kultur- und Kreativwirtschaft“, davon hatten 246 den Fragebogen vollständig ausgefüllt. Für das Institut „auswertbar“ waren 477 Fragebögen.

Kunstschaffende haben ein ganz normales Heimatgefühl

Überraschendes Ergebnis: Die Kunstschaffenden haben ein ganz normales Heimat-Verhältnis zum Ruhrgebiet, das sie nicht von dem der übrigen Bevölkerung unterscheidet. An Räumen ist ihnen wichtig, dass sie ein angenehmes eigenes Zuhause haben (94%), Kulturorte wie Theater, Museum, Club etc. (93%) sowie „Treffpunkte und Begegnungsorte“ (93%). Im sozialen Umfeld sind ihnen heimatwichtig: Freunde und Offenheit der Gesellschaft (je 96%) sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt (84%). Sie assoziieren das Ruhrgebiet mit kultureller Vielfalt (92%), Zuwanderungskultur (91%) und Industriekultur (90%); was das Heimatgefühl für Gebäude, Plätze und Orte angeht, steht die Industriekultur an erster Stelle (91%), gefolgt von Freizeitmöglichkeiten im Grünen und Kioske (je 78%).

Die „#heimatruhr“-Projekte nach Städten, wie das NRW-Heimatministerium sie beschreibt:

BOCHUM

Heimat süße Heimat: Auf dem Imbuschplatz in Bochum werden eine Ausstellung sowie künstlerische Aktionen im öffentlichen Raum umgesetzt, die einerseits die Historie des Platzes abbilden (unter anderem Platz der Bücherverbrennung), aber auch die aktuellen Anwohnerinnen und Anwohner und zahlreichen künstlerischen Akteurinnen und Akteure (ko-fabrik, Zeitmaultheater) einbinden, um den Platz gemeinsam zu bespielen und einen Begegnungsort zu schaffen.

Naturerholungsgebiet: Dauerhafte Platzgestaltung an Bochums erstem Kreisverkehr: Mit der Lichtinstallation „Naherholungsgebiet“ soll der Platz, der von den Anwohnerinnen und Anwohnern als Aufenthaltsort genutzt wird, offiziell als solcher ausgezeichnet.

Kunstkiez brummt in Stahlhausen: Ein denkmalgeschützter Hochbunker im bereits aktiven Kunstkiez Bärendorf wird in einen historisch-künstlerischen Kontext gesetzt und durch verschiedene Aktionen und Kunstformen bespielt: Dabei ist eine Ausstellung Fotografie / Malerei geplant sowie Theater- und Tanzaufführungen und Lesungen. Gegen Ende des Projektzeitraumes (Juni 2021) soll ein konkret historischer Bezug zum Stadtjubiläum Bochums hergestellt werden.

ParkStreifen: Im Rahmen des Projektes werden Menschen aus Bochum-Langendreer an Figurentheaterformen herangeführt und pädagogisch begleitet. Über ein Jahr wird vom skulpturalen Figurenbau bis zu Digital Puppetry ein spannendes Programm angeboten. Durch mehrere Teilprojekte, wie Schreib- und Tanzworkshops, Figurenbau, Kunstwall-Bau und der digitalen Aufbereitung historischen Materials, wird sich mit der Themenwelt Volkspark Langendreer durch unterschiedliche künstlerische Methoden auseinandergesetzt.

Das Schaubüdchen – Kiosk für kleine Künste: Ein leerstehender Kiosk soll zur Begegnungsstätte für Menschen und Künste im öffentlichen Raum werden. Verschiedene Installationen, Ausstellungen, Lesungen und Performances setzen sich mit der Geschichte der Stadt und den Erinnerungen der Bürgerinnen und Bürger auseinander. Themen für das Programm entspringen aus dem Umfeld der Besucherinnen und Besucher.

DINSLAKEN

KSL – Kunst statt Leerraum: Kunst statt Leerraum bietet 100 Künstlerinnen und Künstlern die Möglichkeit, das ehemaliges Bergwerk Zeche Lohberg über einen Zeitraum von zehn Tagen zu bespielen und vom Gestaltungskonzept bis hin zur finalen Präsentation zu planen und umzusetzen. Daraus resultierend ergibt sich ein attraktiver Ort als alltägliche Begegnungsstätte sowie weitere Aufenthalts- und Begegnungsorte für die Allgemeinheit (Skate-Park, Proberäume, Veranstaltungsorte). Die Ergebnisse der Umnutzung und Erschließung werden im Rahmen eines einwöchigen Festivals mit Konzerten, Workshops, Performances und partizipativen Formaten präsentiert.

DORTMUND

Experimentier.Labor Heimat.Dortmund: Für das Projekt soll ein Leerstand in Dortmund angemietet werden, um dort langfristig ein transkulturelles und inklusives Zentrum für darstellende Künste zu etablieren. Hierbei wird es darum gehen, die Vernetzung der Tanz- und Theaterszene zu kultivieren und zugleich gemeinsam für und mit Bürgerinnen und Bürgern verschiedene Projekte, Workshops und Veranstaltungen zum Heimatbegriff zu initiieren.

DUISBURG

Das Plus am Neumarkt: Umnutzung eines 800m² leerstehenden Ladenlokals im Zentrum Duisburgs zum Kultur- und Kreativzentrum: Dieses dient einerseits als Ausstellungs-, Probe- und Co-Workingraum für Künstlerinnen, Künstler und Kreative und bietet über das Projektjahr (saisonale) Veranstaltungen für die Bürgerschaft, so z.B. einen lebendigen Adventskalender, Nachbarschafstreffs, Film- und Musikabende u.a.

ESSEN

Die Werkstatt: Brachliegende und leerstehende Gebäude auf dem Gelände der Zeche Carl in Essen sollen gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen konzeptuell und praktisch erschlossen werden. Die Visionen und Ideen zur Gestaltung werden anschließend im Rahmen einer zweiwöchigen Zukunftswerkstatt präsentiert. Dauerhaft soll auf diese Weise ein innovatives Kulturzentrum – gedacht für und von jungen Menschen – entstehen.

Floating Pavillions: Auf dem Baldeney-See in Essen werden sechs schwimmende Holz-Pavillons errichtet. Die Pavillons bieten bespielbare Räume für verschiedene Anlässe zur Nutzung durch: Kulturvereine, Künstlerinnen und Künstler, Sportvereine, Musikvorführungen, Cafés u.a. Die Pavillons könnten langfristig an verschiedene Akteurinnen und Akteure vermietet werden und somit ein wechselndes Kulturangebot bieten.

GELSENKIRCHEN

Neighboring sattelites – #nebenanbeginntdiewelt: Hier sollen alte, unbekannte, versteckte Räume in Gelsenkirchen identifiziert und belebt werden, um neue Orte der Verständigung und gemeinsamen Zukunftsgestaltung zu schaffen. Hierzu finden über mehrere Monate Dialogveranstaltungen mit der Kultur- und Kreativszene sowie der Stadtgesellschaft statt. Ziel ist es, gemeinsam neue Begegnungsorte zu schaffen und künstlerisch zu bespielen. Die Präsentation erfolgt u.a. beim Kulturfestival Szeniale 2021.

GELSENKIRCHEH/HERTEN

Heimat neu erleben – Neue Klänge an besonderen Orten (HeimatKlänge): An unterschiedlichen Orten im Ruhrgebiet (Nordsternturm, Burg Lüttinghof, Schwarzkaue Schlägel & Eisen, Schloss Horst) werden 20 hochkarätige und internationale Jazzkonzerte durchgeführt. Innovative, kreative Jazzmusik wird hier mit identitätsstiftenden Orten des Ruhrgebiets zusammengebracht.

HAMM

Identität der Heimat: Durch Kunst am Bau soll ein zentraler Ort der Kulturszene Hamm umgestaltet werden: An die Fassade der Galerie der Disziplinen wird eine vier Meter hohe Skulptur gebaut, die aus gesammelten Metallobjekten aus Haushalten der Stadt besteht und damit verschiedene Geschichten der Bewohnerinnen und Bewohnern vereint. Durch einen QR-Code ist die Skulptur medial erlebbar und bietet die Möglichkeit Geschichten aus der Stadt anzuhören.

HERTEN

Denk Mal: Im öffentlichen und halböffentlichen Raum in Herten entstehen bis zu sieben Skulpturen, die die verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers abbilden und in ihrer Diversität zeigen. Bei der Entwicklung der Figuren werden Anwohnerinnen und Anwohner und verschiedene gesellschaftliche Gruppen dazu eingeladen, die Skulpturen gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstler mitzugestalten.

HERNE:

Freiraumluxus für Kreative: Künstlerinnen, Künstler und Kreative bespielen verschiedene Orte (Ladenlokal/ Werkstatt/ Lager/ Schrottimmobilie/Passage) in Wanne mit künstlerischen Interventionen im öffentlichen Raum und machen diese damit als erlebbaren kreativen Lebensraum in Echtzeit sichtbar. Die Interventionen können temporär und dauerhaft sein und sollen langfristig zu einem Diskurs darüber führen, wie Leerstände künstlerisch genutzt werden können.

LÜNEN

Begegnungen über Tage – Urban Art in Lünen: Verschiedene öffentliche und private Gebäudefassaden an der Lebensader des Stadtteils Lünen-Süd, der Jägerstraße, sollen mittels Urban Art gestaltet werden. Aufhänger für die Gestaltungen ist die Bergbauidentität des Stadtteils. In das Projekt werden verschiedene Akteurinnen und Akteure des Stadtteils und die Stadtteilöffentlichkeit eingebunden und es finden öffentlichkeitswirksame Aktionen statt.

RECKLINGHAUSEN

Erinnerung an Blumenthal: Heute als die Kunstmeile bekannt, früher als die Schachtanlage Recklinghausen Blumenthal. Hier soll die ehemalige Zechentrasse (Unterführung) durch historische Motive künstlerisch neugestaltet werden. Der Entwurf wurde partizipativ in einem Workshop mit ehemaligen Bergleuten entwickelt.

SCHWERTE

Heimatort Schwerter Mitte: Die Bürgerstiftung St. Viktor wird das historische Rathaus und die Marktschänke in der Mitte der Stadt baulich herrichten und zu einem Ensemble verbinden, das als „Schwerter Mitte“ einen Kultur- und Begegnungsort bietet. Während und nach Abschluss des Umbaus wird die Stadtgesellschaft und Bürgerschaft durch verschiedene Veranstaltungen und partizipative Formate eingeschlossen, u.a. geplant: Ausstellung im öffentlichen Raum zum Thema „Heimat“, Nachbarschaftsfest und Bürgermarkt, Workshops, Performances, Konzerte, Lesungen.

WITTEN

Knotenpunkt – lokal. und Roxi im Wiesenviertel: Der Projektraum lokal. und die Quartiersbühne Roxi werden zu offenen Begegnungs- und Nachbarschaftsorten für das Quartier: in einem Tandemprogramm werden Anwohnerinnen und Anwohner eingebunden, um Veranstaltungsreihen zu entwickeln und damit neue Zielgruppen zu erschließen. Geplant sind zudem szenische Workshops/performative Kurse für Eltern und Kindern zur Neuaneignung und Entwicklung von Selbstwirksamkeit und Dokumentation durch Fotografie und Film, eine Veranstaltungsreihe unter Mitwirkung lokaler Musikerinnen und Musiker und Anwohnerinnen und Anwohner.

#heimatortwitten: Dauerhafte Fassadengestaltung im öffentlichen Raum: In generationenübergreifenden Workshops (Anwohnerinnen und Anwohner, Seniorinnen und Senioren, Kinder und Jugendliche) werden Gestaltungsideen für ein Kunstwerk am Bau gesammelt und erarbeitet, die anschließend von Graffiti-Künstlerinnen und -künstlern umgesetzt werden. Die Umsetzungsphase wird von Graffiti und Streetart-Workshops begleitet.