Essen. Eine der ältesten Geigenbauer-Familien des Reviers hat ihren Sitz in Essen. Die Bartschs bauen und pflegen klassische Streichinstrumente.

Klar geht es im 21. Jahrhundert nicht ohne PC, es klingelt das schnurlose Telefon, ein paar Maschinen sehen wir auch – und doch erscheint der kleine Raum in Rüttenscheid wie eine alte Zunftwerkstatt. Über uns (zu gern hätten wir das erwartbare Sprachbild vermieden): tatsächlich ein Himmel voller Geigen. Manche in Arbeit, die anderen frisch gepflegt, gewartet, repariert und bereit – fürs Spiel.

Unterm Himmel, auf Erden: ein Chor aus Lasurfläschchen, ein Topf, der malzfarbenen Lack flüssig hält, eine stattliche Riege Feilen und Trichter, ein Arsenal feinmotorischsten Schreinerwerkzeugs, dazu Formbrett, Halseisen und Zargenkranz. 117 Jahre geht das in Essen schon so, so lange steht der Name Bartsch für „Feinen Geigenbau“.

Der Zauber des ersten Besuchs

Einmal Kunde, immer Kunde: Heute ist Mark Mefsut, Cellist der Neuen Philharmonie Westfalen, gestandener Orchestermusiker. Aber er und die Bartschs, sie feiern fast 50-Jähriges: „1973 kaufte mir meine Großmutter dort mein erstes Cello. Den Zauber des ersten Besuchs, den Anblick der vielen Instrumente, das werde ich nie vergessen“, sagt er. Das, so Florian Bartsch (46), sei eine der besonders schönen Seiten der Arbeit, „wenn Großeltern, die schon unsere Kunden waren, stolz mit Enkeln kommen, um das erste Instrument auszusuchen.“

Tüftler: Johannes Bartsch an einem Stimmstock.
Tüftler: Johannes Bartsch an einem Stimmstock. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Hinten an der Werkbank, mit Blick auf ein sacht wildwüchsiges Innengärtchen, ist sein Vater, Geigenbaumeister Johann Bartsch, mit der Lösung eines Problems beschäftigt. „Schaust du mal...?“ Wie sie miteinander einen Fall besprechen, wie sie Möglichkeiten austarieren: Man denkt an ein Konsilium von Ärzten, die das Beste für ihre Patienten wollen.

Viele der Kunden sind Profi-Musiker

Ganz falsch ist dieser Blick auf die Arbeit des Familienunternehmens nicht. Der Patient ist sensibel, und mehr noch der, der ihn in die Praxis bringt. Viele Kunden der Bartschs sind Profi-Musiker: Philharmoniker, Solisten, Professoren an Musikhochschulen. Den Geldwert überbietet die persönliche Beziehung mühelos. Wie sagte Anne-Sophie Mutter? „Die Geige ist mein künstlerisches Ich. Ich bin ja stimmlos ohne mein Instrument.“

So liegt die Sensibilität bei Bartschs, deren Manufaktur-Trio die Geigenbaumeisterin Eva Herweg komplettiert, nicht allein in den empfindsamen Fingerspitzen, die die Wölbung der „Hohlkehle“ betasten und den „Stimmstock“ justieren, dieses wenige Quadratzentimeter große, aber zentrale Fichtenholzstückchen zwischen Geigendecke und -boden. Erst recht ist sie gefragt, wenn Schwerverletzte eingeliefert werden. „Das Cello war im Grunde ein Totalschaden“, erinnert sich Johann Bartsch an einen der schlimmsten Fälle aus jüngster Zeit: „Bruchstücke“. Ein Herr stürzte – auf sein eigenes Instrument. Der Eigner nannte dessen Zustand „erbarmungswürdig“. Also zu Bartsch.

Dankesbrief hängt im Bilderrahmen

Erst Stückwerk, dann Meisterinstrument: Eine Geige in Einzelteilen.
Erst Stückwerk, dann Meisterinstrument: Eine Geige in Einzelteilen. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Gerade solche scheinbar Unrettbaren feuern die Meisterwerkstatt offenbar zu Höchstleistungen an: „Nachts zu grübeln, wie man so ein Instrument retten kann“, sagt Johann Bartsch, das mache ihm regelrecht Vergnügen. Meistens hilft das. Heute hängt der Dankesbrief des Kunden im Bilderrahmen. Er, der „mit bangem Herzen“ zur Abholung kam, sei schlichtweg glücklich, des Cellos Ton habe sogar „erheblich gewonnen“. Der Seniorchef lächelt, mit 76 kommt der passionierter Freund von Kammermusik immer noch jeden Tag ins Geschäft – „ich betone: sehr gerne“.

An die Ruhr führte seinen Großvater Alfred das kulturell aufstrebende Revier. Es werden Theater gegründet, Opernhäuser und Orchester. Die Essener Philharmoniker werden seine Kunden: 1903 ist Bartsch der erste Geigenbauer in der Stadt. Die Firma übersteht Kriege, steht aus dem Schutt immer wieder auf, wenn auch mit neuem Inventar. „Der Holzkopp ist der Einzige, der’s überlebt hat“, sagt Bartsch senior und zeigt auf die Büste am Fenster: Beethoven!

Rebellenjahre und immense Lust aufs Handwerk

Erst Betriebswirt, jetzt hingebungsvoller Geigenbauer: Florian Bartsch.
Erst Betriebswirt, jetzt hingebungsvoller Geigenbauer: Florian Bartsch. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Sohn Florian – Rebellenjahre gehören manchmal einfach dazu – scherte erstmal Richtung Betriebswirtschaft aus, um 2005 mit immenser Lust aufs Handwerk (und der Ausbildung an Mittenwalds staatlicher Geigenbauschule, die auch den Vater prägte) zurückzukehren. Heute agiert er, wie sein Vater, als Geschäftsführer, erfüllt von seiner Arbeit, auch wenn er erst fünf eigene Geigen hat bauen können. Dass es weitergeht mit diesem alten Handwerk, darum macht sich hier niemand Sorgen. „Wir könnten rund um die Uhr arbeiten“, sagt Florian Bartsch – wenn auch nicht gerade, um neue Geigen zu bauen. Das Pflegen und Reparieren, es bindet den Großteil der Stunden. Stolze 200 davon sind nötig, bis eine feine handgemachte Violine auf Noten losgelassen werden kann.