Essen. Clint Eastwood gegen Fake News: Ein Film über Richard Jewell, der beim Attentat 1996 in Atlanta Menschen rettete und zu Unrecht verdächtigt wurde.
„Ich bin mir sicher, dass er der Täter ist.“ FBI-Agent Tom Shaw hat keine Zweifel und gibt deshalb gegen jede Richtlinie seine Vermutungen an eine Reporterin weiter. Damit beginnt das hässliche Kapitel im Leben des Richard Jewell.
Er ist ein fetter Wachmann von 33 Jahren, der zur Stunde noch als gewaltiger Held gefeiert wird. Es ist Sommer in Atlanta und in der Metropole des US-Bundesstaates Georgia finden die Olympischen Sommerspiele statt. Wenige Tage zuvor, am Abend des 27. Juli, entdeckt Jewell während eines Konzerts im Olympia-Park einen einsamen Rucksack. Er alarmiert die Polizei, Spezialisten finden eine Rohrbombe, leiten Evakuierungsmaßnahmen ein, an denen Jewell sich beteiligt. Dann geht die Bombe hoch, aber Todesfälle und schlimmste Verletzungen bleiben weitgehend aus. Jewell wird in den Medien als amerikanischer Held gefeiert.
Vom Helden zum Verdächtigen
Dann schreibt die Reporterin Kathy Scruggs von der Atlanta Journal-Constitution einen folgenschweren Artikel. Informationen des FBI-Agenten Shaw und Aussagen eines College-Leiters, der Jewell zuvor beschäftigte, erlauben eine Indizienkette, dass Jewell ins psychologische Profil eines Bombenlegers passt. Damit setzt eine landesweite Hetzlawine ein. In höchster Not wendet sich der Wachmann an Bryant Watson, der eine kleine Anwaltskanzlei unterhält, wo Jewell einmal angestellt war. Watson nimmt die Verteidigung im Fall Richard Jewell an.
Ein religiöser Eiferer mit Dienstmarke und eine Schande für alle wirklichen Gesetzeshüter – so klangen die Beschimpfungen, mit denen Richard Jewell von den zusehends aufgebrachten Medien überzogen wurde. Fast ein Vierteljahrhundert danach hat Clint Eastwood (90) den Fall noch einmal aufgerollt. Der Superstar der 60er- und 70er-Jahre dreht auch in einem Alter noch, in dem die meisten Anderen längst ins Seniorenheim übergesiedelt sind. Dabei bewegt Eastwood sich auf einem inszenatorischen Niveau, das auch seinen jüngsten Film zeitlos klassisch erscheinen lässt.
Großartig besetztes Ensemble mit Tom Shaw und Kathy Scruggs
Einmal mehr überrascht sein Besetzungsgeschick: Die Titelrolle vertraute er dem schwergewichtigen Comedian Paul Walter Hauser an, der zuvor durch zwei Nebenrollen als tumber Hinterwäldler in „Tonya“ und „BlacKkKlansman“ im Kino aufgefallen war. Hauser legt Jewell als nur bedingt liebenswürdigen Simplizissimus an, der auch jenseits der 30 bei der Mutter wohnt, kofferweise Waffen hortet und seinen unbedingten Gesetzesglauben gern mit einer besserwisserischen Autorität ausstattet.
Damit so einer trotzdem zur Identifikationspotenzial entwickelt, stellt Eastwood ihm den pfiffigen Sam Rockwell zur Seite, der die Anwaltsrolle als geschmeidige Pufferzone zu den Schurken ausgestaltet, die mit Jon Hamm (Tom Shaw) und Olivia Wilde (Kathy Scruggs) typensicher besetzt und geführt sind.
Von „American Sniper“ bis „Sully“
Geprägt von dem Schauspielerensemble und einer Könnerschaft, in der kein Satz, kein Bild falsch oder zufällig wirkt, entfaltet sich ein Unterhaltungsfilm, der mit seinen zwei Stunden Spielzeit trotz des sehr amerikanischen Themas fesselt. Einerseits keilt Eastwood in die Kerbe der US-Heldengeschichten, die er mit „American Sniper“ und dem Katastrophenfilm „Sully“ schon weidlich bedient hatte. Andererseits geht der erklärte Konservative Eastwood dem Phänomen der Fake News mit aufrührender Präzision auf den Grund. Und plötzlich rückt sein historisches Drama ganz nah an unsere Mediengegenwart. Das ist wirklich großes Kino.