Essen. Die Künstlerin Marie-Luise O'Byrne-Brandl schrieb für unsere Leser Briefe in der Corona-Zeit. Wie war das Schreiben für wildfremde Menschen?
„Normal“ gibt es bei einer Performance-Künstlerin eigentlich nicht. Nennen wir es: erfahrungsgemäß. Wenn Marie-Luise O’Byrne-Brandl als „amouröse Stadtschreiberin“ – mal vorm Oberhausener Einwohnermeldeamt oder dem Hauptbahnhof – Briefe für wildfremde Menschen schreibt, dann sind es erfahrungsgemäß die Männer, die sich Hilfe holen. Die Liebe zu erklären, den rechten Ton zu finden: das trauen sie einer Frau doch mehr zu – als sich selbst.
Aber was ist nach Corona noch wie zu vor? „Viel mehr Frauen als Männer“, bilanziert O’Byrne-Brandl, waren es. Sie nutzten ihre Dienste als Könnerin in Sachen Kommunikation bei einer gemeinsamen Aktion mit unserer Zeitung. Und also schrieb sie täglich mit der Hand ihre Briefe. „Für Mütter, für Töchter, für Schwägerinnen und kranke Freundinnen“ hat sie in den letzten Wochen dutzendfach und ehrenamtlich zu Papier und Füller gegriffen.
„Was ich meinem Schatz immer schon mal sagen wollte“
Sie alle reagierten auf den Aufruf, mit dieser Aktion die Kontaktsperre auf ganz altmodische Weise zu durchbrechen. Was anders war, sagt Marie-Luise O’Byrne-Brandl, das sei oft auch der Geist der Briefe gewesen. Schrieb sie – nostalgisch verbrämt mit Frühlingsblumen im Haar und rotem Samtkleid – im öffentlichen Raum, war zuverlässig die Briefart „Was ich meinem Schatz immer schon mal sagen wollte“ unter den Spitzenreitern.
Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen hätten aber die schriftliche Liebeserklärung nicht zuletzt in die Dimension des Trostes überführt. „Einsame und Kranke oder frisch Operierte“, verrät die Künstlerin, sind vielfach Adressaten gewesen – lauter Menschen, denen das Kontaktverbot ganz besonders zugesetzt habe.
Wärme, Verbundenheit und Herzlichkeit in Briefform
Nein, es falle ihr nie schwer für Menschen zu schreiben, denen sie nie begegnet ist. Wer von unseren Leserinnen und Lesern einen Briefwunsch hatte, nahm ja Kontakt mit ihr auf, konnte sagen, was ihm wichtig sei, worum es eigentlich ging. „Und ich hatte ja Ruhe zum Schreiben“, sagt O’Byrne-Brandl, „während ich bei der Live-Performance und einer schwierigen Aufgabe, etwa nach einer frischen Trennung, etwas schreiben muss, während Menschen in der Schlange warten.“
Zuneigung und Wärme, Verbundenheit und Herzlichkeit hat sie seitenweise versandt. Ihr Lohn war allein das dankbare Echo der Menschen, deren Gefühlen sie die Feder geführt hatte. Mancher fragte aber dann doch „Darf ich Ihnen Briefmarken schicken als Dankeschön – oder sollen wir mal ein Eis essen gehen?“ Die Entgegnung von Marie-Luise O’Byrne-Brandl war und ist stets gleich: „Die Liebesbriefe sind immer kostenlos! Ich möchte nichts dafür haben.“