Essen. Mit Little Richard (87) starb eine lebende Legende des Rock’n’Roll. Der exaltierte Bühnenstar führte das Auf-und-ab-Leben eines Zerrissenen.
Als Little Richard Ende der 90er-Jahre zum Zwecke der Altersvorsorge noch einmal mit den beiden anderen überlebenden Legenden des Rock’n’Roll, also mit Jerry Lee Lewis und Chuck Berry durch die mittelgroßen Hallen der Welt tingelte, da stahl Little Richard dem „Killer“ und dem Entengangster
nicht selten die Show. Er verteidigte seinen Status als Pfau auf dem Königsthron des Rock’n’Roll. Er war es, der nach wie vor die Beschallungsanlagen den Hallen bis ans Limit austestete. Er war es, der gleich zwei Schlagzeuger im Rücken hatte, die es aber an Klangschärfe nicht aufnehmen konnten mit dem Klavier von Little Richard. Er war allerdings nicht nur der Lauteste, er war auch immer der Schrillste, der zum Blickfang der ganzen Straße, der Stadt, ja der Welt werden wollte. Und doch hatte Richard Wayne Penniman, im Dezember 1932 als drittes von 13 Geschwistern im Pfirsich-Staat Georgia zur Welt gekommen, auch ganz andere Seiten. So war es das Leben eines ewig hin und her Gerissenen, das am Samstag in Tennessee nach 87 Jahren voller Glamour und Glitter, voller Elend und Zweifel endete.
Die Erfahrung, bitterarm im Slum aufgewachsen zu sein, in einem US-Südstaat mit beinharter Rassentrennung, steckte „Little Richard“ noch tief in den Knochen, als er in Bühnen und Studios mit seinem Kinder-Spitznamen antrat und nicht weniger erfand als den Rock’n’Roll. Sein aus tiefster Kehle herausgeschrienes „Awop-bopaloolop-alop-bam-boo !“ zum Auftakt seines 1955 aufgenommenen Megahits „Tutti Frutti“ bezeugte die ganze Freude an der Lust, die Lust auf völlig sinnbefreite, rebellische, zuckende Freude, das heillos Anarchische dieser Musik, die in Sekundenschnelle zum letzten Schrei avancierte.
Ein schriller Gigant, auch neben Bill Haley und Elvis Presley
Bill Haley wirkte neben Little Richard wie der Postbeamte des Rock’n’Roll; Elvis hingegen hatte Sex-Appeal, musste im Fernsehen allerdings aus Vermarktunsgründen einen Basset ansingen, damit sein „Hound Dog“ nicht als Song über einen konkurrierenden Gigolo verstanden wurde. Ein Little Richard aber machte keine Kompromisse. „Tutti Frutti“ war so eindeutig zweideutig wie „Ready Teddy“, das spitz herausgeschriene „Lucille“, „Long Tall Sally“ oder „Good Golly Miss Molly“. Sein Klavierstil, der schier Salti schlug und es an Tempo mit abgefeuerten Geschossen aufnehmen wollte, schien das Musikmöbel mitunter zum Schlaginstrument wandeln zu wollen. Nicht selten, so ist es dutzendfach bezeugt, rissen durch Little Richards hämmerndem Bass-Stil die tiefen Saiten mitten im Konzert.
Allerdings verschliss er auch Garderoben und Freundschaften wie kein anderer Star des Rock’n’Roll. Ähnlich war bei ihm die Haltbarkeit von Albumverträgen ausgestaltet, am Ende seiner Karriere, das er 2013 mit den Worten „I’m done“ („Ich bin fertig“) besiegelte, hatte er es auf mehr als 30 Plattenfirmen gebracht.
Pastor bei den Sieben-Tags-Adventisten, aber auch Popstar
Little Richards Einfluss
Man muss Little Richard zu den einflussreichsten Musikern der Pop-Geschichte zählen. Als der „Rolling Stone“ 2004 die größten Musiker „aller Zeiten“ ranglistete, landete Little Richard auf Platz 8. Sechs der sieben vor ihm Platzierten gaben an, von ihm entscheidend beeinflusst worden zu sein.
So waren denn auch Mick Jagger und Bob Dylan unter den Ersten, die nach der Todesnachricht am Samstag Trauer und Respekt bekundeten.
Das erste Ende seiner Rock’n’Roll-Buckelpiste, die so manchen mehr oder minder gelungenen Comeback-Versuch erleben sollte, kam 1957 – da war dem tiefreligiösen Mr. Penniman sein überbordender Erfolg, der ihn mit Tourneen um den halben Erdball jagte, nicht mehr geheuer: Er zog sich zurück, verstieß aber auch bei der Ausbildung zum Pastor der Siebenten-Tags-Adventisten exzessiv gegen die Schulordnung, wie er überhaupt den großen Auftritt mit wimperndünnem Schnurrbart, turmhoch toupierten Haaren, greller Schminke, falschen Wimpern und Paillettensakkos liebte. Fortan sollte Little Richard zwischen Priester und Popstar schwanken: „Jeden Samstag gehe ich in die Kirche, jeden Samstag“, aber das reichte ihm nicht: „Und freitags eröffne ich den Sabbattag.“
Mit den Rolling Stones als Vorgruppe und Jimi Hendrix als Roadie
1964 dann wurde nicht nur die fünf Jahre zuvor geschlossene Ehe mit der Sekretärin Ernestine Campbell geschieden, weil Little Richard seine Bisexualität mit Mann und Frau, mit Schwarz und Weiß offen auslebte, was ihn zur Hassfigur von Konservative werden ließ. Nein, der 1,80 Meter messende Star brauchte auch wieder den großen Auftritt, das Scheinwerferlicht. Sein erstes Comeback legte mit dem Einsatz von Turbo-Bläsern einen der Grundsteine des Funk und Soul. Er nahm eine kaum bekannte Combo namens Rolling Stones als Vorgruppe mit auf Tournee und geriet mit dem gewaltigen Ego eines Roadies und Gitarristen aneinander, der sich Jimi Hendrix nannte.
Denn über sich duldete Little Richard eigentlich nur einen, und mit dem hatte er am Ende seinen Frieden gemacht: „Gott“, sagte er einmal in einem späten Interview, „war gut zu mir.“ Darauf ein letztes Awop-bopaloolop-alop-bam-boo !