Essen. NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen will bei einer Wiederwahl der Landesregierung den Kulturetat weiter steigen lassen – ein Interview.
Die Soforthilfe für Künstler der Freien Szene hat NRW-Kultur- und Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) bereits in der vergangenen Woche verkündet - fünf Millionen Euro, von denen bis zu 2000 Euro pro Person abgerufen werden können: „Wir wollen den Betroffenen schnell, unbürokratisch und wirksam helfen“, sagt die Ministerin, „und verhindern, dass die Corona-Pandemie zur Krise der Kultur- und Weiterbildungslandschaft wird“. Jens Dirksen und Lars von der Gönna sprachen mit ihr über diese Kulturlandschaft und den Haushalt.
Ist das Kulturangebot im Ruhrgebiet metropolenwürdig?
Isabel Pfeiffer-Poensgen: Ich würde sagen: Ja! Aber ich denke auch, dass sich viele dessen nicht bewusst sind. Für Menschen, die von außen kommen, erschließt sich das Kulturangebot in seiner großen Breite nicht so leicht. Wenn man allein überlegt, wie viele interessante Kunstsammlungen es gibt, wie viele kreative Orte, ist das schon geografisch erst einmal schwer zu erfassen für jemanden, der nicht hier lebt. Vielleicht sogar für die Menschen, die hier leben. Vom Wettbewerb und der Qualität her ist es aber ein sehr intensives und vielfältiges Angebot.
Hat die Kulturhauptstadt da etwas bewirkt?
In Form einzelner Gebäude und Einrichtungen ganz sicher. Meines Erachtens war aber die größte Leistung der Kulturhauptstadt, dass sie ganz generell die Wahrnehmung der Kultur im Ruhrgebiet verändert hat. Dass sich die Region über einen so langen Zeitraum hinweg mit der Kultur präsentiert hat, hat natürlich der Kunst hier geholfen.
Hat sich nicht auch etwas in der Wahrnehmung von Kultur durch das Publikum verändert?
Zum einen haben sich Kulturinstitutionen wie etwa die Theater in Zeiten, in denen es ihnen noch gut ging, vielleicht nicht immer so sehr um die Bedürfnisse des Publikums gekümmert, sondern manchmal auch Kunst um der Kunst willen gemacht.
Und zum anderen?
Hat sich natürlich das Angebot in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend verändert: Die Menschen hatten nicht mehr nur Theater und Bibliotheken zur Verfügung, sondern auch einen Fernseher mit unzähligen Kanälen aus aller Welt , und das hat sich jetzt noch einmal potenziert durch die Streaming-Angebote. Gleichzeitig hat sich auch die Arbeitswelt verändert. Früher war die Taktung ruhiger. Wenn Menschen heute tagsüber unter starkem Druck arbeiten, ist die Aufnahmekapazität nach Feierabend natürlich begrenzt. Wenn man dann vor der Wahl steht, sich abends noch einmal aufzumachen zu einem anspruchsvollen Theaterstück oder alternativ zu Hause einen Film anzusehen, ist es vielleicht auch eine Frage der Kräfte. Mir geht es ja nicht anders, ich gehe auch nur am Wochenende ins Theater, meistens samstags.
Haben Sie in der Vor-Corona-Zeit etwas in Ruhr gesehen?
Den „Iwanow“ von Johan Simons im Bochumer Schauspielhaus.
Oh, vier Stunden! Da sagen auch Theaterfans: Das schaffe ich in der Woche nicht…
Das hätte ich auch nicht, deshalb gehe ich ja samstags. Und in diesem Fall hätte ich noch zwei weitere Stunden zuschauen können. Fantastische Schauspieler!
Frau Ministerin, Sie haben jetzt fast drei Jahre lang viel Geld verteilen dürfen, weil der Kultur-Etat des Landes bis 2022 um 50 Prozent steigt. Haben Sie schon mit dem Ministerpräsidenten darüber reden können, ob der Etat in der Legislaturperiode danach noch weiter ansteigt?
Erstmal müssen wir ja das alles umsetzen, was wir uns vorgenommen haben. Damit sind wir noch nicht fertig. Denn das mit dem Geldausgeben ist übrigens durchaus anspruchsvoll und auch anstrengend. Wir wollten ja weder das eine große Ding machen, noch einfach mit der Gießkanne überall was draufpacken. Stattdessen sind wir gezielt durch alle Kulturbereiche gegangen und haben geschaut: Wo genau fehlt Geld? Wir haben sehr viele Gespräche geführt, um zu erfahren: Was brauchen die Künstler? Was müssen wir tun, um den Schalter umzulegen? Um Aufbruch zu erzeugen und neue kreative Prozesse in Gang zu setzen, um durch Wettbewerb Impulse zu setzen. Es ging uns etwa um neue Programme für die Freie Szene mit längerfristiger Finanzierung, aber auch um eine verlässliche, transparente Finanzierung für kommunale Theater und Orchester, um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen. Wir mussten uns um Strukturen kümmern, die absolut unterfinanziert waren.
Manche Kritiker sagen auch, man müsse Strukturen zerschlagen, um Neues möglich zu machen, um Kreativität freizusetzen.
Das finde ich etwas zynisch. Wir müssen die Strukturen haben, damit Künstler überhaupt die Freiheit bekommen, sich neuen Ideen und anderen Prozessen zuzuwenden. Ich bin z.B. ein absoluter Fan von Stadttheatern und Orchestern. Da verbringt man ja nicht nur einen Abend, sondern sie bestehen ja aus Künstlern, die in ihre jeweilige Stadt hineinwirken. Fast jeder Musiker gibt auch Unterricht, macht Kammermusikensembles. Schauspieler machen Lesungen. Das können sie nur machen, weil ihnen das feste Engagement am Theater oder Orchester die Sicherheit bietet, die sie dafür brauchen.
Noch einmal nachgefragt: Soll der Kulturhaushalt weiter ansteigen, wenn diese Regierung 2022 wiedergewählt wird?
Ganz klar: Der Aufwuchs muss weitergehen, ohne jede Frage. Wir sind als Land noch nicht da, wo wir sein müssten. Die kommunalen Theater und Orchester werden am Ende dieser Legislaturperiode zehn Prozent ihres Gesamt-Budgets vom Land finanziert bekommen - als ich Mitte 2017 angefangen habe, lagen wir lediglich bei drei Prozent. Wir haben also schon eine beträchtliche Steigerung, die aber noch nicht ausreicht. Schon zu Beginn meiner Amtszeit haben wir in Gesprächen mit dem Bühnenverein und dem Deutschen Städtetag besprochen, dass am Ende etwa 20 Prozent dieser Etats vom Land getragen werden sollten. Das gilt natürlich für die anderen Kulturbereiche vergleichbar. Wir haben die Kultur beim Namen des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft vorangestellt, das ist eine Botschaft, die ernst gemeint ist. Sie müssen sehen: Die Kulturabteilung meines Ministeriums ist vor meiner Zeit sehr heruntergespart worden, darum ist es uns nicht leicht gefallen, all die neuen Ideen zur Verteilung des Geldes auch sofort praktisch in die Tat umzusetzen.
Was hilft da?
Im letzten Jahr ist es mir gelungen, den Finanzminister davon zu überzeugen, dass, wenn man mehr Etat hat, auch die Leute dafür braucht, um das umzusetzen. Man kann nicht innerhalb von zweidreiviertel Jahren, die ich jetzt im Amt bin, alle Potenziale im Land wecken, die zuvor mangels Unterstützung eingeschlafen waren. Da ist noch längst nicht alles gehoben. Deshalb können nachfolgende Regierungen gut auf dem jetzt Geschafften aufsetzen, aber sie dürfen nicht nachlassen im Bestreben, weiter aufzuholen. Im Vergleich mit Bayern und Baden-Württemberg haben wir noch eine gute Wegstrecke vor uns.
Und was passiert als nächstes?
Wir prüfen in diesem Jahr sehr intensiv, wie man die gut eingeführten Programme zur kulturellen Bildung noch weiter verbessern kann. Etwa das „Jekits“-Programm, das Kinder an die Musik heranführen soll. Es ist damals aus Kostengründen auf zwei Jahre pro Kind beschränkt worden, um es überall im Land anbieten zu können. Aber man sollte nicht zwei Jahre lang ein Kind an etwas heranführen – und die Förderung dann abbrechen lassen. Da wäre eine vierjährige Förderung aus meiner Sicht sehr viel besser. Natürlich müssen wir da zunächst einmal rechnen, aber bei dieser Neuaufstellung geht es nicht ums Sparen, sondern um wirkliche Verbesserungen.
Die worin bestehen?
Eine Frage ist beispielsweise, wie man die Schulen, aber auch schon Kindertagesstätten und Musikschulen leichter zusammenbringen kann, um für die Kinder eine erste Begegnung mit Musik zu organisieren. Wir wollen so etwas auf solide Füße stellen. Kita, Schule, Musikschule - diese Systeme haben sich so eigen entwickelt, dass es mehr Offenheit dafür geben muss, jemand von außen hereinzulassen. Wir wollen die Musikschulen entschieden stärken, weil das ein wichtiger Baustein in der Kulturkarriere von Menschen ist. Wenn man so etwas nicht frühzeitig vermittelt bekommt, Kunst und Kultur überhaupt, wenn diese Tür sich nicht geöffnet hat, dann holt man das ein Leben lang nicht mehr auf.
Wie stärken Sie die Musikschulen?
Wir haben erhebliche Mittel dafür bereitgestellt, aber die fließen nur, wenn einige Bedingungen erfüllt sind und die Städte das nicht dazu nutzen, ihren Etat zu entlasten. 2018 haben wir schon einmal pauschal 1 Million Euro für die Musikschulen draufgelegt – da habe ich zum Teil aus den Musikschulen gehört, dass das Geld gar nicht vollständig angekommen ist. Das hat mich ehrlich gesagt fuchsteufelswild gemacht.
Wie gehen Sie mit dem Dilemma um, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages im letzten November überraschend 41,5 Millionen Euro für ein Deutsches Foto-Zentrum in Düsseldorf bewilligt hat – und die Expertenkommission der Kultur-Staatsministerin Monika Grütters nun eindeutig Essen als qualifizierten Standort für ein solches Zentrum empfiehlt?
Die Studie der ausgewiesenen Experten hat für uns eine große Bedeutung. Das Ergebnis ist sehr ausführlich begründet und muss die Grundlage der weiteren Überlegungen sein. Die Beauftragung einer Expertenkommission, um die Aufgaben und Struktur eines künftigen nationalen Fotoinstituts zu erarbeiten, hat mir von Beginn an sehr eingeleuchtet.
Also hat der Haushalts-Ausschuss ein wenig voreilig beschlossen?
Der Haushaltsausschuss hat manchmal die Tendenz, Dinge spontan zu entscheiden. Das habe ich schon als Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder erfahren. Wenn es dann so kommt wie in diesem Fall, muss man es aus meiner Sicht so nehmen, wie Monika Grütters das getan hat: Natürlich war auch sie zuerst irritiert, weil das inhaltliche Konzept noch gar nicht vorgelegen hat. Aber dann hat sie gesagt, dass es doch eigentlich fabelhaft ist, dass wir die Mittel jetzt schon zur Verfügung haben, um das Projekt zu realisieren. Für mich war das Erfreuliche, dass der Landtag in Nordrhein-Westfalen dann auch sehr kurzfristig die Ko-Finanzierung sichergestellt hat.
Und jetzt? Man wird doch Düsseldorf, das für die Zustimmung des Bundestags gesorgt hat, schlecht ganz außen vor lassen können.
Aus meiner Sicht sind sowohl Essen als auch Düsseldorf hervorragende Standorte der Fotografie. Ich freue mich sehr, dass das Fotoinstitut jetzt definitiv nach Nordrhein-Westfalen kommt. Auf der Grundlage des Konzepts der Experten muss jetzt eine kluge Lösung gefunden werden, die den Interessen beider Städte gerecht wird. Es geht ja nicht nur um die Konservierung und wissenschaftliche Erforschung, sondern auch darum, beispielsweise Standards für den Umgang mit Abzügen in der Foto-Kunst zu entwickeln. Es wird jetzt eine Reihe von Gesprächen zwischen Bund, Land und den den Städten, geben. Allerdings ist das wegen des Themas Corona vorläufig schwierig.