Zum 250. Geburtstag Beethovens erzählen Prominente, was der große Komponist ihnen bedeutet. Heute: Martin Stadtfeld, Pianist.

Beethoven war bei uns oft zu Gast, als ich Kind war. Auf Schallplatte! Meine Mutter liebte es, die Klavierkonzerte zu hören. Auf den Platten, später dann auf den CDs musizierten die großen Pianisten. So saßen „bei uns“ Swjatoslaw Richter und Emil Gilels am Klavier. Das waren durchaus meine Heroen der Kindheit. Mit ihrem wunderbaren goldenen Klang haben die mich schon ein bisschen verzaubert.

Als ich selbst am Klavier saß, war das Einstiegswerk, das mir Beethoven nahegebracht hat „Die Wuth über den verlornen Groschen“. Das habe ich sehr viel gespielt, bis heute habe ich es als Reminiszenz an meine Kindheit im Repertoire. Es wird natürlich auch im Beethovenjahr erklingen, wenn ich im Juli Gast des Klavierfestivals in Herne bin.

Schon dieses Einstiegsstück, ein frühes Werk von ihm, hat mich damals gepackt. Es steckt so viel von Beethoven darin, was dann auch mich begeistert: das enorme Temperament, die überbordende Spielfreude! Natürlich spricht aus den Werken dieses Genies noch viel, viel mehr. Ich würde das eine ganz starke „Unbedingtheit“ nennen, ein „so und nicht anders“. Das habe ich schon als Kind gespürt und diese klare Vorstellung, dass bei Beethoven ein Stück Ton für Ton wirklich so sein muss, die bleibt extrem beeindruckend. Man spürt, dass und wie sehr dieser Komponist gerungen hat. Aber man spürt immer auch, dass dieses Ringen, dieser Kampf nötig und schließlich gut waren. Denn wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, spürt jeder, der Musik liebt und sich von ihr berühren lassen kann: Hier ist jeder Ton an dem Platz, an den er gehört. Da kann und darf man nichts besser und nichts anders machen.

Dieses Empfinden reißt einen auch als Pianist mit. Bei Beethoven habe ich das Gefühl, man steigt ein, schnallt sich an und kann aus diesem „Beethoven-Mobil“ bis zum Ende auf keinen Fall mehr aussteigen. Der „macht“ es dann mit ei­nem, man muss sich wirklich ausliefern, hingeben. Das hab’ ich schon in der Kindheit an der „Pathétique“ gespürt. Heute weiß ich natürlich, wie er da gerungen hat, dass er Händel zitiert und Mozart, und wie verzweifelt er versucht, seinen eigenen Ton zu finden. Aber er schafft es eben, auch in diesem frühen Werk.

„Die Fingerkuppen müssen wehtun!“

Wenn ich Bach spiele oder Schubert, umhüllt mich eher ein Kokon: Ich fühle mich geborgen. Mich mit Beethoven ans Klavier zu setzen, ist etwas ganz Anderes. Die Werke haben so viele Strudel der Energie, das muss man ganz wach und intensiv wahrnehmen. Das kann durchaus schmerzhaft sein: Bei Beethoven müssen die Fingerkuppen wehtun! Das ist eben nicht jener Bach oder Schubert, der einen birgt. Ich hab’ unlängst eine Beethoven-CD für Kinder eingespielt – das hab’ ich danach physisch regelrecht gemerkt.

Ich denke, es erzählt etwas über diese Musik, dass der Körper gefordert ist. Kluge Leute haben immer mal wieder versucht, sich Beethoven intellektuell zu nähern. Ich glaube, der verkopfte Weg führt nicht weit.

Andere Interpretationen höre ich heute kaum. Ich möchte nicht vorgeprägt sein, mein Zugang soll aus mir selbst heraus kommen.

Aus diesem gewaltigen, grandiosen Schaffen ein einziges Werk auszuwählen? Das ist wirklich schwer. Aber wenn ich nur eines aus einem brennenden Haus retten dürfte, wäre es wohl die „Eroica“. Ich glaube wirklich, dass Beethoven sich in dieser Sinfonie nie mehr übertroffen hat. Wie aus so vielen Werken spricht aus ihr ein Zug Beethovens, der in Musik unglaublich kostbar ist: tiefe Menschlichkeit.

Aufzeichnung: Lars von der Gönna