In der Serie Mein Beethoven beschreiben ganz unterschiedliche Menschen, was sie an Beethoven schätzen. Zum Auftakt: Erzbischof Hans-Josef Becker

„Ohne die Musik wäre ich wahrscheinlich nicht zur Theologie gekommen. Musik hat eine immense Bedeutung für mich, auch in der Verbindung zu Gott. Der Komponist Ludwig van Beethoven spielt dabei eine große Rolle. Beethoven eröffnete mir 1962, ich war damals 14 Jahre alt, eine sagenhafte Musikwelt, die mich bis heute beschäftigt und fasziniert, und zwar in allen Gattungen! Ein unergründlicher Reichtum!

Mein Vater war Eisenbahner. Mein Bruder und ich genossen in Belecke eine geborgene, gut katholische Kindheit mit Sonntagskirchgang, Tischgebet, Messdienerdienst und der jährlichen Wallfahrt zur Muttergottes in Werl.

Mein Beethoven

Ludwig van Beethoven (1770 - 1827) ist der meistgespielte klassische Komponist der Welt. Seine Musik fasziniert rund um den Globus. Zum 250. Geburtstag verraten uns Menschen aus unterschiedlichen Berufen, was ihnen Beethoven bedeutet. In „Mein Beethoven“ kommen u.a. Rockschlagzeuger Rolf Möller aus Hagen, Pianist Martin Stadtfeld aus Herne, Rapper Najib El-Chartouni aus Siegen und Politiker Norbert Lammert aus Bochum zu Wort

Ich durfte Bratsche lernen

Ich durfte Bratsche lernen und kann mich noch gut erinnern, wie wir im Geigenbauatelier von Otto Laue in Arnsberg meine erste Bratsche kauften. Auch das erste Stück von Beethoven, das ich bewusst gehört habe, kann ich noch ganz genau benennen: Es handelt sich um das Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op 73.

Die Missa solemnis op. 123 hat mein Leben besonders beeinflusst. Vier Jahre lang hat Beethoven an diesem Spätwerk gearbeitet. Er hat dafür intensive Forschungen auf den Gebieten der Theologie, Liturgik und der Geschichte der Kirchenmusik von der Entstehungszeit des Gregorianischen Gesangs über Palestrina bis Bach und Händel betrieben. Man kann sagen, dass die Missa solemnis zu einer Suche Beethovens nach seinem Gottverständnis wurde.

Nach dem Abitur wollte ich zunächst den Lehrerberuf ergreifen und habe Lehramt bis zum 2. Staatsexamen studiert. Interessanterweise war es aber nicht die Musik Beethovens, die mich dazu angeregt hat, Priester zu werden, sondern die Beschäftigung mit der Musik Anton Bruckners und den Schriften Martin Bubers.

Die 9. Sinfonie sollte jeder Mensch mindestens einmal hören

Die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft besorgt mich als Erzbischof sehr. Ich verwahre mich auch dagegen, dass ausgerechnet Fremdenfeinde das christliche Abendland beschwören, was der Kernbotschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen widerspricht. Es fehlt in vielen Punkten die Bereitschaft zur Versöhnung.

Beethovens Werke bringen jedoch die Utopie einer harmonischen Gesellschaft zum Klingen. Er konnte die Musik „überm Sternenzelt“ hören. Seine Musik führt bei entsprechender persönlicher Offenheit in die Tiefe oder auch in die Weite! Sie führt uns über das Alltägliche hinaus.

Das Violinkonzert ist Lieblingsmusik

Als Bratscher lernt man Bescheidenheit. Bratscher sieht man nicht, aber wenn sie nicht da sind, dann fehlt etwas. Früher habe ich im Quartett Beethovens op. 18 zu erarbeiten versucht. Das hat mir viel gegeben.

Meine Lieblingsmusik von Beethoven sind die Streichquartette op. 127, op. 130, op 132 und das Violinkonzert op. 61.

Welche Komposition Beethovens sollte jeder Mensch mindestens einmal im Leben gehört haben? Natürlich seine 9. Sinfonie mit der Ode an die Freude. Dieses musikalische Plädoyer für Menschlichkeit und Brüderlichkeit bildet den Höhepunkt der ganzen sinfonischen Literatur:
Seid umschlungen, Millionen! / Diesen Kuss der ganzen Welt! /
Brüder – überm Sternenzelt /
Muss ein lieber Vater wohnen.

Aufgezeichnet von Monika Willer