Essen. Sonst fotografiert er Obama, DeNiro oder Adele. Nun hat Martin Schoeller 75 Überlebende des Holocaust ins Licht gesetzt - und spricht darüber.
Martin Schoeller, geboren 1968 in München als Sohn des Anfang des Monats verstorbenen Literaturkritikers Wilfried F. Schoeller, ist seit Schulzeiten mit einem „sehr großen Schuldbewusstsein wegen des Holocaust“ aufgewachsen, „für manche meiner Generation schon fast zu viel.“
Schöller, von 1993 bis 1996 erster Assistent der amerikanischen Star-Fotografin Annie Leibovitz, wurde bekannt mit Porträt-Aufnahmen, die selbst Größen wie Bill Clinton, George Clooney, Julia Roberts, Jon Bon Jovi oder Angelina Jolie näher rücken als man es normalerweise wagen würde. Und dann fragte ihn sein Freund, der ehemalige Herausgeber der „Bild“-Gruppe Kai Diekmann, ob er nicht für den Freundeskreis der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem Überlebende ins Licht rücken wolle. Das hat er getan – mit derselben formalen Strenge, mit demselben extreme Nähe suchenden Close-Up-Prinzip wie bei den Promis. Nun sind die 75 Bilder bis zum 26. April in der Essener Welterbe-Kokerei Zollverein zu sehen: „Survivors. Faces of Life after the Holocaust“.
„Das emotionalste Projekt meines Lebens!“
Über die Arbeit mit den 75 Holocaust-Überlebenden sagt er: „Es war das emotionalste Projekt meines Lebens! Die Kinder meiner Generation wuchsen mit einem ungeheuren Schuldgefühl auf. Das Treffen und das Zusammensein mit diesen Frauen und Männern, denen ich vorher nur in den Geschichtsbüchern meiner Kindheit begegnet war, haben mit zutiefst berührt und verändert.“ Die Arbeit sei allerdings auch sehr lebhaft und herzlich gewesen; eine der alten Damen wollte angesichts seiner Dreadlocks wissen: „Wer macht ihnen denn eigentlich die Haare?“
Ursprünglich, so Schoeller, seien nur mit zweien der Opfer Interviews geplant gewesen: „Es sind viel mehr geworden, weil viele sich erzählen wollten“. Dem Team habe es abends beim Essen dagegen oft die Sprache verschlagen, so heftig seien die Eindrücke des Tages gewesen.
Ein einziger Porträtierter war leicht schockiert – ein deutscher Fotograf!
„Ich hatte natürlich erst auch Angst“, erinnert sich Schoeller. „Aber nur ein einziger unter den 75 Porträtierten war leicht schockiert, als er gehört hat, dass ich ein Deutscher bin.“ Dafür ist Schoeller von dem Ambiente der Kokerei-Mischanlage als Ausstellungsort begeistert: „Normalerweise möchte ich meine Bilder am liebsten an weißen Wänden sehen. Aber noch nie haben sich Fotos und Räume so perfekt ergänzt und unterstützt wie hier.“ Vivian Uria, Abteilungsdirektorin in Yad Vashem, die gemeinsam mit der Hamburgerin Anke Degenhard die Ausstellung kuratiert hat, pflichtet bei: „Ein ungemein kraftvoller Ort. Die Überlebenden blicken in die Zukunft von den Wänden der Vergangenheit!“