Bonn. Mächtige Menschen, stechende Tuschefedern: Bonns Haus der Geschichte zeigt mit der Schau „Zugespitzt“ Karikaturen zu Kanzlern.

Als die Kunstgötter die Tusche schufen, müssen sie das Bekleckern der Mächtigen billigend in Kauf genommen haben. Wie sonst ließe sich der wundersame Reichtum von Karikaturen, diesen grafischen Majestätsbeleidigungen in der Schöpfungsgeschichte der Satire, erklären? Allein in Bonns Haus der Geschichte horten sie 70.000 davon. Ein Bruchteil erblickt aktuell das Ausstellungslicht am Rhein.

„Zugespitzt“ (die Schau ist origineller als ihr Titel) heißt das Projekt. Sein einziges Motiv ist die Königsklasse der Republik: Kanzler und nichts als Kanzler – und wie die Karikatur sie wahrnimmt. Wir sehen Birnen und alte Füchse – in beiden Fällen zwar das Gegenteil von Menschen – und doch, in erheiternder Erkenntnis, Kohl und Adenauer. Von der Kunst, im Abweichen mitten ins Ziel zu treffen, erzählen die ausgewählten Stücke nicht selten. „Merkel war bei mir auch schon mal eine Amöbe. Aber solange sie Merkels Augen und Frisur hat, ist das für den Betrachter eine klare Sache“, sprach Heiko Sakurai, einer der besten politischen Karikaturisten seiner Generation (Interview auf dieser Seite) bei der Eröffnung in Bonn.

Im Haus der Geschichte heißt es bis Mai 2020 „Zugespitzt“. Zu sehen: Kanzler in der Karikatur

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Damit ist er ein Enkel Klaus Pielerts, 40 Jahre für unsere Zeitung Chronist am Tintenfass. Denn als Pielert (1922-2015) das beleibte Wirtschaftswunder Ludwig Erhard als selbstbewusste Wahlkampf-Lokomotive zu Papier bringt (aus dem Rauchfang steigt selbstredend Zigarrenqualm auf), installiert er ein Bild, das bleibt. Als der Politiker Jahre später scheitert, zeichnet ein Kollege dasselbe Motiv – auf dem Abstellgleis eines Industriemuseums.

Hätte Erhard Karikaturisten Pinscher genannt? Adenauer jedenfalls – sah er sich verzerrt dargestellt -- pflegte sich anfangs noch schriftlich zu beschweren. Aber sowas ermunterte die Branche nur: Als der Alte sich mit 85 noch einmal zur Wahl stellte, ließ sie ihn als Lustgreis mit unverkennbaren Zügen zur jungen BRD ins Brautbett klettern – echt rheinisch war die Zeile dazu auch „Noch einmal mit Jefühl!“

Kohl war Birne, Adenauer der alte Fuchs, Erhard die Lokomotive: Karikaturen wurden zu Markenzeichen der Kanzler

Den größten Spaß (einen Hauch von Bildung vorausgesetzt) machte Zeichnern wie Betrachtern der Spott im Kostüm. In Tier- und Märchenwelten lagen die wahren Wahrheiten von Wiederaufbau und Wahlversprechen, in historischem Zitat (bei Schröder Napoleon, bei Kohl gar Kaiser Wilhelm) der Schlüssel zur Gegenwart – und in der Bibel die Gleichnisse auf alles Vergängliche, darunter die erste Große Koalition. Horst Haitzinger blickte 1969 auf „Die Vertreibung aus dem Paradies“: Franz-Josef Strauß als trotzig-zottlige Eva mit Atombusen, Kanzler Kiesinger zeigte als ihr Adam nur noch den Fluchttrieb. Das Schwert des Erzengels schwang: Willy Brandt.

„Zugespitzt“ ist charmant interaktiv, zeigt in Filmen, wie von Loriot bis zum Puppenkabinett „Hallo, Deutschland“ der zeichnerische Biss in die dritte Dimension ging, und lässt uns Besucher per Touchscreen antworten auf die Frage, die Satire seit ihrer Geburt begleitet: „Alles erlaubt?“. Aktuell klickten in Bonn über 50 Prozent „Nein“ bei einer Karikatur von Madonna Merkel, an deren blankem Busen 2009 der kleine Westerwelle Halt fand.

„Zugespitzt“ lässt auch das Publikum mitmachen - befragt es etwa, ob in der Karikatur alles erlaubt sei

Die Schau ist klein, man nennt das nicht nur in der Politik „Kabinett“, aber das macht im Haus der Geschichte gar nichts. Denn dieses Haus ist bekanntlich so voll vom Drehen großer Räder, da findet fast jedes bundesrepublikanische Ereignis seine Entsprechung im Parterre – mit allerfeinstem Strich.

Acht Kanzler, so unterschiedlich, und doch in einem auch in den Karikaturen so gleich: Ab einem gewissen Punkt verloren sie alle die Bodenhaftung. Da mischen sich Respekt und Mitleid, wenn Willy Brandt als monumentales Gebirgsmassiv erscheint. Sein Kopf schwebt längst: über den Wolken.