Dortmund. Ein knarzendes Mikrofon, zwei klingelnde Handys – Till Brönners elfter Klavier-Festival-Abend begann holprig und endete mit großem Beifall.
Wohl zum ersten Mal bei den elf Auftritten des selbstbewussten Jazztrompeters Till Brönner beim Klavier-Festival Ruhr ging es ohne Zugabe von der Bühne: „Wir werden“, zitierte Brönner seinen früheren Mentor Peter Herbolzheimer, „nicht den Fehler machen, so lange zu spielen, bis Sie nicht mehr applaudieren!“ Dabei war der Beifall nach netto zwei Stunden im fast ausverkauften Dortmunder Konzerthaus opulent und durchsetzt mit stehenden Ovationen für Brönner, den formidablen Bassisten Dieter Ilg (auch schon zum neunten Mal beim weltweit größten Pianistentreffen) und den jazzenden Klaviergrübler Jacob Karlzon, der schon im Vorjahr mit Brönner und der WDR-Bigband ein furioses Konzert in der Duisburger Mercatorhalle absolviert hatte.
Jacob Karlzons Einzelauftritt, Dieter Ilgs Kapriolen der Bassbearbeitung
Die Weltpremiere für ihr gemeinsames Programm „Das vierte Element“ (worunter mit Alfred Brendel die Stille zu verstehen ist) stand zunächst unter keinem guten Stern – Brönners Trompetenmikrofon knarzte und musste eine Weile durch ein Standmikrofon ersetzt werden. Zwei impertinente Zwischenrufe von klingelnden Handys parierte Dieter Ilg zwar großartig mit swingenden Hüftschwüngen und einem „Smoke On The Water“-Intermezzo auf den Basssaiten, aber der Konzentration und mehr noch dem unabdingbaren Aufeinander-Einlassen der drei Jazzer war all das spürbar abträglich. Zeitweise schienen sie so involviert in ihr eigenes Instrument, dass eher selten weite Räume entstehen wollten für ein inspiriertes Zuspielen und Aufnehmen von Melodien, Rhythmen und Harmonien jenseits des „vierten Elements“. Nicht von ungefähr war Jacob Karlzons Solo-Auftritt im zweiten Set so umjubelt – hier stimmte vom ersten bis zum letzten Ton das Verhältnis von Verführung, Entführung und überraschenden Einfällen.
Leonard Cohens Ohrwurm „A Thousand Kisses Deep“
Die Entscheidung, zu dritt über das „Steigerlied“ zu improvisieren, war womöglich etwas zu kurzfristig getroffen worden, hier driftete manches auseinander, was zusammengebracht zu einer Abenteuerreise hätte werden können. Wohlgemerkt: Brönners Klasse blitzte und strahlte Mal um Mal auf (besonders dann, wenn er seine Trompete mit einem Hauch, mit angerauter Phrasierung oder gestopft durchs Stück schlendern lässt) – und nicht minder glänzte Dieter Ilg, der sein Musikmöbel nach allen Regeln der Kunst virtuos wie kein Zweiter zum Singen, Jammern, Flehen, Kratzen, Pochen, Wummern brachte.
Die beiden hatten ja im vergangenen Jahr mit ihrem Album „Nightfall“ und der gleichnamigen Duo-Tournee schon Kritiker-Lorbeer und Fan-Begeisterung gleichermaßen geerntet. Kostproben vom Album wie „Body & Soul“ deuteten an, wie gut sich Carlzons Klavier in die spartanisch intensive Kombination aus Bass und Trompete einschmiegen kann, was erst recht für Leonard Cohens Ohrwurm „A Thousand Kisses Deep“ galt.
Die Entscheidung, nach der ebenfalls auf dem „Nightfall“-Album variierten Melchior-Vulpius-Komposition „Ach bleib mit deiner Gnade bei uns“ (Evangelisches Gesangbuch 347, Katholisches Gesangbuch 436) nichts mehr zu spielen, hatte allerdings auch ihre Stimmigkeit: Die meditative Strömung dieses Stücks, seine kontemplative Tragweite hätte nur beeinträchtigt werden können, wäre zerstoben zum bloßen Echo. So blieb sie der retrospektive Generalbass eines beschaulichen Abends.
Und für Brönner-Fans bleibt dann immerhin noch die „Melting Pott“-Ausstellung in der Duisburger Küppersmühle, die Brönners fotografische Impressionen vom Ruhrgebiet zeigt und auf die er auch im Konzert kurz hinwies mit dem herrlichen Zitat des von ihm fotografierten Kleingärtner: „Komm ich jetzt ins Museum?“ Die Ausstellung läuft noch bis zum 7. Oktober