Düsseldorf. Dieser Abend wird im Fangedächtnis Legendenstatus erhalten: Pearl-Jam-Frontmann Eddie Vedder begeisterte beim umjubelten Konzert in Düsseldorf.
Als Eddie Vedder Anfang der 90er mit seiner Grunge-Band Pearl Jam erstmals Europas Konzerthallen eroberte, kam da ein zorniger, wilder, junger Mann, der im Adrenalinrausch gern den Bühnenaufbau in schwindelerregende Höhen hinaufkletterte und sich die Seele aus dem Leib sang. Zumindest letzteres macht er heute, knapp 30 Jahre später, noch immer – mit inzwischen Mitte 50 aber nun bevorzugt im Sitzen. Von diesen riss er sein Publikum beim grandiosen Solo-Auftritt am Sonntag in der Mitsubishi Electric Halle in Düsseldorf. Ein Abend, der alles mitbrachte, um sich im Fangedächtnis Legendenstatus zu sichern.
Seine üblichen Bandmitstreiter hat Vedder bei dieser Tour, die mit Berlin und Düsseldorf nur zwei Zwischenstopps in Deutschland bereithielt, gegen ein Streicherquartett aus Amsterdam eingetauscht. Als dieses um 21.20 Uhr allein die Bühne betritt, staunen die 4300 Zuhörern in der bestuhlten und restlos ausverkauften Halle nicht schlecht. Doch alle Zweifel sind sofort verflogen, als das Miniorchester mit Geige und Cello und seiner eigenen Version des Pearl-Jam-Klassikers „Even Flow“ den Abend mitreißend eröffnet.
Pater Eddie und seine sofort mitsingende Gemeinde
Erst danach gesellt sich Vedder hinzu. Er hat noch keinen Ton gesungen, schon brandet ihm die erste Sympathiewelle in Form von stehenden Ovationen entgegen. Er nimmt auf einer Bühne Platz, die dank authentischer Requisiten an ein Musiker-Tonstudio der 60er Jahre erinnert. Als bedächtigen Einstieg wählt Vedder das melancholische „Long Road“. Am Ende stimmt das Publikum gesanglich gleich mit ein. Das hat etwas Sakrales, fast wie in einem Gottesdienst. Und Pater Eddie weiß seine Gemeinde emotional gleich auf seiner Seite.
Es folgen die wunderschönen Songs „Around the Bend“ und „Elderly Woman Behind the Counter in a Small Town“. Und wieder reichen ein Mann und seine Gitarre aus, um Tausende erst besinnlich lauschen und kurz darauf aus voller Kehle mitsingen zu lassen.
Verneigung vor der Klimaaktivistin Greta Thunberg
Doch der Pearl-Jam-Frontmann ist nicht nur als brillanter Musiker, sondern auch als Vertreter einer klaren Haltung bekannt. Er stellt sich auf die Seite jener, die die Politik in diesen Zeiten mit Vehemenz auffordern, endlich etwas gegen den Klimawandel zu tun – eine Verneigung vor der jungen Umweltaktivistin Greta Thunberg inklusive. „Wir haben nur noch wenig Zeit, um gegenzusteuern. Und diese Zeit ist jetzt gekommen“, so Vedders Appell zum Aufstehen und Aufbegehren gegen die Klimawandel-Ignoranten.
Es folgen rührende Momente: Etwa als Vedder dem kleinen Madison aus Sitzreihe drei ein Plektron in die Hand drückt. „Und danke dafür, dass du deinen Vater mitgebracht hast“, wirft Vedder dem Jungen mit einem Augenzwinkern hinterher. Schwermütig seufzen auch manche, als Vedder „I Won’t Back Down“ von Tom Petty anstimmt und dem vor zwei Jahren verstorbenen US-Musiker auf diesem Weg seine Ehrerbietung erweist.
Konzert ohne störende Handyaufnahmen
Das Besondere nicht nur bei diesem Song: Jeder Besucher fokussiert sich voll auf das Bühnengeschehen – und lässt das Smartphone in der Hosentasche. In einer Botschaft, die vor Konzertbeginn auf eine Großleinwand projiziert wurde, hatte der stimmgewaltige Gastgeber darum gebeten. Ein Konzert ohne hunderte mitfilmende und dauerfotografierende Gäste ist in heutigen Digitalzeiten eine absolute Seltenheit. Und um so wirkungsvoller der gewünschte Effekt.
Vedder ist aber nicht nur ein Virtuose an der Gitarre, sondern auch an der Ukulele. Ein Solo-Album hatte er 2011 allein mit diesem Instrument eingespielt. Den allerersten Song, den er einst darauf komponiert hatte („Soon Forget“), gab Vedder auch zum Besten. Sein bislang stärkstes und auch erfolgreichstes Alleinprojekt war aber der Soundtrack zum aufwühlenden Aussteigerfilm „Into The Wild“ von seinem Freund und Regisseur Sean Penn. Aus diesem Songfundus bedient sich Vedder mit „Rise“ oder „Society“ gleich mehrfach. Dazu tauchen auf der Bühnenleinwand fantastische Aufnahmen einer unberührten Natur auf – Fotos eines leuchtenden Sternenhimmels in einer Welt ohne störendes Kunstlicht inklusive.
Bei „Alive“ spielte Vedder den aufmerksamen Mundschenk
Als erste Zugabe schlägt die zweite große Stunde des Red Limo String Quartetts aus Amsterdam. Sie spielen den bis heute größten Pearl-Jam-Hit „Alive“ im Alleingang. Den Gesangspart übernimmt das betörte Publikum, während Vedder beseelt lächelnd über die unerwartete Arbeitsteilung als Dank einige Pappbecher mit Rotwein an die Gäste in Reihe eins verteilt. Der Mundschenk selbst trinkt sein edles Tröpfchen hingegen bevorzugt gleich aus der Flasche. Doch seine Zunge wird nicht schwerer, sondern lockert sich. So wettert Vedder gegen die Grenzmauer zwischen Mexiko und seinem Heimatland, den USA. „Grenzen sind nur irgendwelche Linien im Sand“, sagt er. Statt sich um Grenzen zu streiten, solle die Menschheit an einem Strang ziehen und zusehen, dass auch unsere Kinder und Enkel diesen Planeten in Zukunft noch in einem bewohnbaren Zustand vorfinden. Zur Bestärkung covert Vedder „Imagine“ von John Lennon – der nächste Gänsehaut-Moment.
Großer Applaus auch für Glen Hansard
Gleich mehrmals bittet Vedder Glen Hansard mit auf die Bühne. Der ist Ire, ein ehemaliger Straßenmusiker, er gewann 2008 einen Oscar für seinen Song im Film „Once“ und hatte den Abend in Düsseldorf mit einer herausragenden und umjubelten 40-Minuten-Soloperformance eröffnet. Es ist zu spüren, dass diese beiden Musiker eine Freundschaft verbindet. Und der Applaus für Hansard ist so ebenso donnernd und enthusiastisch wie der für seinen Gastgeber.
Vor der allerletzten Zugabe kommt Vedder auch noch einmal auf Roskilde zu sprechen: Beim dortigen Festivalauftritt seiner Band Pearl Jam im Jahr 2000 waren im Gedränge vor der Bühne neun Fans ums Leben gekommen. Ein Trauma, das bis heute nachwirkt. Mit Blick auf die Hinterbliebenen sagt Vedder: „Sie gehören zu unserer Familie, wir sehen uns regelmäßig und versuchen gemeinsam mit ihnen, das Leben trotz allem zu feiern.“ Anschließend stimmte er „Seasons“ an, das aus der Feder eines weiteren verstorbenen Freundes stammt: Chris Cornell. Der Soundgarden-Sänger beging vor zwei Jahren Selbstmord. Ein ergreifender Schlusspunkt unter einem unvergesslichen Abend.