Bochum. Carolin Emcke, mehrfach preisgekrönte Publizistin, stellt ihren etwas anderen Beitrag zur #MeToo-Debatte am Donnerstag in Bochum vor
Sie nennt es „lecture performance“ - eine Art öffentliches Nachdenken über die Lust in Zeiten der #MeToo-Debatte: Carolin Emcke, Publizistin, Philosophin, mehrfach preisgekrönte Autorin, ist mit ihrem jüngsten Essay „Ja heißt ja und...“ (erschienen im Fischer-Verlag) am Donnerstag, 20. Juni, im Schauspielhaus Bochum zu Gast. Stephan Hermsen sprach mit ihr – auch über Bademäntel und den BVB.
Ich habe einen weißen Frotteebademantel. Reden wir trotzdem miteinander?
Carolin Emcke (lacht): Ich habe ja auch einen Bademantel. Da ist nichts gegen zu sagen. Ich habe nur etwas gegen das halbnackte Auftreten von Männern in Arbeitskontexten, in denen das Gegenüber nicht damit rechnen kann, das ein Kollege oder Vorgesetzter sich so präsentiert.
Was war für Sie der Anlass zu sagen: Ich möchte mich jetzt auch zur #MeToo-Debatte äußern?
Die Debatte habe ich erst mal verfolgt wie viele andere. Indem ich nachgedacht habe: Welche Situationen habe ich als unangenehm empfunden – in der Situation selbst oder später. Ich hatte lange nicht den Eindruck, ich sollte oder müsste mich dazu äußern. Dann merkte ich, dass das mich das doch emotional sehr berührte und gleichzeitig die Debatte so laut und schrill und von allen Seiten so selbstsicher geführt wurde. Ich fühlte mich da viel ambivalenter, unsicherer und wollte darüber schreibend nachdenken.
Ich lese das Buch als einen Versuch, die Debatte ins Positive zu retten. Es heißt nicht „Nein heißt Nein“, sondern „Ja heißt ja und...“. Nicht einmal „Ja heißt ja aber...“.
Das ist mir wichtig. Ich will nicht, dass das Nachdenken über sexualisierte Gewalt und Sexismus als lustfeindlich abgestempelt werden kann. Ich wollte unbedingt die Freude an der Erotik retten, das autonome selbstbestimmte Wollen. Das eine schließt das andere nicht aus. Man kann klar definieren, was ist sexualisierte Gewalt, was ist Übergriffigkeit und da ist der Slogan „Nein heißt Nein“ richtig und wichtig. Aber gleichzeitig wollte ich eben über selbstbestimmte Lust sprechen.
Und Sie wollten bewusst keine Grenzen setzen, sondern den Raum öffnen?
Ja. Wenn wir über erotische Begegnungen nachdenken, steht am Anfang ersteinmal die grundsätzliche Zustimmung: also das Signal, „Ja“, ich möchte mich auf eine bestimmte Person einlassen. Aber dann beginnt ja erst der Spaß, erst in der konkreten Begegnung stellt sich dann heraus, was einem Lust bereitet. Dieses „Und“ steht für das Offene, das man immer wieder neu miteinander herausfinden muss. Den Teil finde ich aufregend, das gemeinsame Entdecken.
Es gibt den bösen Satz: Bei allem im Leben geht es um Sex- außer beim Sex: Da geht es um Macht. Liegt da der Kern des Problems? Dass Sex oft ein Machtspiel ist?
Es gibt viele Hinsichten, in denen Lust und Sexualität von Machtfragen durchzogen sind. Und es gibt alle möglichen Weisen, in denen ideologische Vorstellungen von Männlichkeit, Weiblichkeit, Macht, Schönheit in die Sexualität hineinspielen. Das ist sicher keine unschuldige, gänzlich unbeschriebene Zone. Wenn wir von Rollenspielen absehen, wo bewusst Rollen als machtvoll oder devot definiert werden – da wird eine Machtkonstellation ja nur inszeniert – sollte es immer eine gleichberechtigte Möglichkeit der Sexualität geben. Und die Freiheit, Nein zu sagen.
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Es gibt aber neben den Rollenspielen auch Geschlechterrollen im klassischen Sinne. Und diese aufzugeben oder preiszugeben, ist für viele Menschen sehr verunsichernd.
Ich denke, dass sich Frauen und Männer jeweils oft eingeengt fühlen, weil sie in bestimmten Konventionen meinen auftreten oder handeln zu müssen. Ich glaube, dass beide Rollenbilder oder Normierungen enorm einschränkend sind. Genau mit dieser Perspektive müsste der feministische Diskurs auch von Männern geführt werden: Wäre ich ein Mann, würde ich ja auch nicht gern immer in der traditionellen Rolle sein, immer werben zu müssen. Oder mit dieser Gewissheit auftreten zu müssen, die Männer angeblich haben sollen. Wie ist denn das für Sie?
Anstrengend, oft. Jedenfalls, wenn man, machohaft formuliert, auf die Jagd geht.
Ich hoffe, dass sich diese Erwartungen verändern lassen. Dass Männer nicht nur auf Frauen schauen, sondern es eine wechselseitige Blickrichtung geben kann. Um in Ihrer Sprache zu bleiben: Dass ihr Männer auch mal erfahrt, wie es ist, gejagt zu werden (lacht) – aber im Ernst: ich bin nicht sicher, ob es ums „Jagen“ geht.
Ich denke, das ist für viele Männer extrem verunsichernd.
„Ich bin mir nicht sicher, ob es ums „Jagen“ geht“
Warum denn eigentlich?
Nun, jetzt wird von Männern auch immer mehr erwartet, sportlich athletisch, gestählt, vom Schönheitschirurgen optimiert aufzutreten.
Na, willkommen im Club! (lacht) Ist unangenehm, oder? Aber es geht mir nicht darum, dass es sich umgekehrt und Männer zum Objekt gemacht und verdinglicht werden. Ich denke, dass man üben muss, dass die Blickrichtung sich ändert und Frauen eine eigene lustvolle Subjektivität haben. Es geht mir darum, im Miteinander herauszufinden, was beide Beteiligten wollen.
„Ich zweifle nicht an meiner Liebe zum BVB“
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Ich lese bei Ihnen, dass jeder Mensch in seiner Individualität wahrgenommen werden will. Auf der anderen Seite brauchen Menschen Kategorien. Wo sind da die Grenzen?
Das ist tatsächlich schwer. Jede Person lässt sich in viele Hinsichten einsortieren, nach Geschlecht, Religion, soziale Klasse. Eine Gesellschaft organisiert sich über solche soziale Kategorien. Auf der anderen Seite gibt es derzeit eine übertriebene Nervosität gegenüber Verschiedenheit. Als ob jemand, der anders ist, meine eigene Identität in Frage stellt. Seit wann ist das denn so? Seit wann wird das permanent als Bedrohung wahrgenommen? Da wäre ein bisschen mehr Gelassenheit gut. Mich irritiert doch auch kein Schalke-Fan. Es können noch so viele Schalke-Fans um mich herumlaufen, deswegen zweifle ich nicht an meiner Liebe zum BVB. Ich bin mir meiner eigenen Identität oder meiner Leidenschaften sicher – auch wenn andere um mich herum anders aussehen oder anderes glauben.
Aber die Toleranz nimmt ja offenkundig ab, wenn sogar ein Lied über einen homosexuell liebenden Jungen von Sarah Connor es schafft, von Radiosendern boykottiert zu werden. Woran liegt das?
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In jeder Generation und in jeder Gesellschaft wird immer wieder neu verhandelt, was geschmacklos ist und was Tabus sind. Ich finde es nicht schlimm, wenn über so etwas gestritten wird. Ich habe aber das Gefühl, dass es derzeit sehr viel abgeleitete, delegierte Aufregung gibt. Dass man sich über einen solchen Songtext aufregt oder über religiöse Andersartigkeit enorm echauffiert. Meine Vermutung ist, dass sich soziale Verunsicherung, politische Enttäuschung delegiert werden auf andere Fragen: gegen Migranten, gegen Transsexuelle oder wen auch immer. Anstatt ein bisschen mehr nach den eigentlichen Quellen dieser sozialen Unsicherheiten zu fragen.
Was wäre Ihre Empfehlung für die sich verunsichert fühlenden, alten, weißen Männer?
Das klingt ja auch despektierlich. Mir liegt es fern, ein Gegenressentiment zu formulieren gegen irgendeine Gruppe. Es ist wichtig, dass man sich nicht aufteilen lässt, dass nicht soziale gegen kulturelle Fragen ausgespielt werden. Die gehören beide zusammen. Die Fragen von sozialer Marginalisierung sind nicht ohne die Frage nach kultureller Anerkennung zu verhandeln. Wenn wir eine inklusivere Gesellschaft wollen, dürfen sich Gruppen nicht gegeneinander ausspielen lassen.