Essen. Nach wie vor gibt es im Sport Sexismus und Ungerechtigkeit. Doch es tut sich etwas: Starke Proteste werden ernst genommen. Ein Essay.

Zum Beispiel Laura Dahlmeier. Wie sie im Februar in der kaum vorstellbaren Kälte von Südkorea zweimal Olympiasiegerin im Biathlon wurde. Oder Rodlerin Natalie Geisenberger. Wie sie ihren Olympiasieg von 2014 vier Jahre später souverän wiederholte. Oder Tennisspielerin Angelique Kerber. Wie sie auf dem Rasen von Wimbledon die Hände über den Kopf zusammenschlug, überwältigt von dem Gefühl des Sieges. Oder Isabell Werth. Wie sie scheinbar mühelos und auch mit 49 Jahren noch immer die Weltspitze des Dressurreitens dominiert, im Sommer Weltmeisterin wurde. Oder Mikaela Shiffrin. Wie sie mit gerade einmal 23 Jahren erst vor wenigen Tagen schon ihren 50. Sieg im Ski-Weltcup feierte.

Geschichten von erfolgreichen Frauen. Große Geschichten.

Die Gehälter bleiben ein Problem

Doch 2018 war auch das erste Jahr, seit ein Hashtag die Gesellschaft verändert hat. Unter dem Stichwort #MeToo trugen ab Oktober 2017 Frauen auf der ganzen Welt im Internet ihre Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen, aber auch mit Alltagssexismus zusammen. Auslöser war ein Bericht über Filmproduzent Harvey Weinstein, der seine Machtposition offenbar jahrelang ausgenutzt hat, um sexuelle Leistungen von jungen Frauen einzufordern. „Me Too“ begann als Solidaritätsaktion und ist längst zum Synonym für eine anhaltende Debatte um Sexismus und die damit einhergehende Frage nach der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in allen Teilen der Gesellschaft geworden. Auch im Sport.

Dass absolute Gleichberechtigung noch ein sehr frommer Wunsch ist, sieht man allein beim Blick auf die unterschiedlichen Gehälter. Man traut sich fast gar nicht mehr, das Beispiel des Fußball-Millionärs und der Fußballerin, die neben den Champions-League-Spielen auch noch ein Studium absolviert, anzuführen. Oder darauf hinzuweisen, dass unter den 100 am besten verdienenden Sportlern keine Frau ist. Dass in den wichtigen Positionen in Verbänden fast nur Männer sitzen.

Frauen als schmuckes Beiwerk: 2017 gab es noch Grid Girls in der Formel 1, mittlerweile gibt es sie nicht mehr.
Frauen als schmuckes Beiwerk: 2017 gab es noch Grid Girls in der Formel 1, mittlerweile gibt es sie nicht mehr. © imago

Doch die Debatte hat einen Denkprozess in Gang gesetzt. Erstmals werden Verhaltensformen oder Äußerungen offen hinterfragt. Warum sind WM-Spielerinnen „Handball-Girls“? Warum muss Simone Blum, die 24 Jahre nach dem letzten deutschen WM-Titel als erste Frau überhaupt die Weltreiterspiele im Springreiten gewann, anmoderiert werden mit den Worten: „Wird Simone Blum zur Rose erblühen?“ Vielleicht gingen mit dem Kommentator bei aller Euphorie, pardon, die Pferde durch. Simone Blum hätte anderes verdient gehabt.

Die Debatte hat auf verschiedenen Ebenen Spuren im Sport hinterlassen. Okay, bei der Tour de France gibt es das Siegerküsschen von stets gut aussehenden jungen Frauen immer noch. Aber es lässt sich durchaus als Zeichen der Zeit deuten, dass in der Formel 1 zu Beginn der Saison die Grid Girls abgeschafft wurden. Erstmals waren an Strecken und Boxen keine leicht bekleideten Hostessen mehr zu finden, die nichts anderes als schmuckes Beiwerk einer Männerwelt waren.

Der Kampf um die Kleidung

Es tut sich etwas, aber es geht noch mehr. Als mindestens schade ist es zu bewerten, dass der erste wichtige Schritt in die richtige Richtung – nämlich eine neue Dimension der Aufmerksamkeit – oft erst eine Folge negativer Ereignisse war.

Serena Williams, die erfolgreichste Tennisspielerin dieser Zeit, kehrte nach der Geburt ihrer Tochter Olympia zurück auf die Tour. Bei den French Open trug sie statt Röckchen eine schwarze Leggings. Sie nannte ihr Outfit, das ihr vor allem wegen schwangerschaftsbedingter Durchblutungsstörungen Hilfe sein sollte, Catsuit. Ein zweites Mal wurde ihr dieser Auftritt versagt, der französische Verbandschef berief sich auf die Kleiderordnung. Schnell wurden Proteste laut. Erst vor wenigen Tagen nahm die Spielerinnen-Vereinigung WTA, die als Vorreiterin in Sachen Gleichberechtigung gilt und sich dafür einsetzte, dass seit 2007 die Preisgelder bei allen Grand Slams für Frauen und Männer gleich hoch sind, in ihren Katalog auch die Erlaubnis von Leggings ohne Rock auf.

Weltfußballerin Ada Hederberg mit Martin Solveig in Paris.
Weltfußballerin Ada Hederberg mit Martin Solveig in Paris. © Reuters

Die norwegische Fußballerin Ada Hegerberg wurde in diesem Jahr als erste Frau mit dem Ballon d’Or ausgezeichnet. Die Angreiferin von Olympique Lyon sprach bei ihrer Auszeichnung als beste Fußballerin der Welt jungen Mädchen Mut zu. Anschließend musste sie sich von Moderator Martin Solveig auf der Bühne fragen lassen, ob sie twerken könne. Also in die Hocke gehen und mit dem Po wackeln. Hegerberg wies ihn schroff ab, später sagte die Frau, die in der vergangen Saison mehr Tore als Weltfußballer Luka Modric und Jungstar Kylian Mbappé zusammen geschossen hatte, ganz cool: „Er hätte besser etwas anderes fragen sollen.“ Nicht nur für sie, auch für Martin Solveig wäre das besser gewesen – denn im Netz rollte direkt eine große Lawine der Empörung über ihn hinweg. Und losgetreten hatten diese Lawine nicht nur Frauen, sondern auch erfreulich viele Männer.

Im Ton vergriff sich auch Gordon Shumway, Kult-Kommentator bei der Darts-WM, beim Duell zwischen der Russin Anastasia Dobromyslowa und dem Engländer Ryan Joyce. Dobromyslowa war eine von zwei Frauen, die sich zum ersten Mal überhaupt für eine WM qualifiziert hatten. Shumway hielt seine Verachtung dafür nicht zurück: „Ich bin kein Freund von diesem Zirkus. Ich weiß nicht, was das soll, zwei Damen bei einem professionellen Darts-Turnier mit aufzunehmen.“ Alle Achtung: Sein Sender Sport1 zog die Konsequenz und setzte den 51-Jährigen nicht mehr ein. Im Netz hatte es längst einen Proteststurm gegeben – zumal in Londons Alexandra Palace die Fans die Debütantin lautstark unterstützt hatten.

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Diese drei Beispiele lassen vor allem eines erkennen: Der Aufschrei folgt tatsächlich, wenn er folgen sollte. Immer mehr Menschen reagieren, wenn es angebracht ist. So werden Strukturen im Sport aufgebrochen, die als unaufbrechbar galten. So findet ein Umdenken statt mit der Erkenntnis: Frauen nehmen Männern im Sport nichts weg, sie wollen für gleiche Leistung nur genauso fair behandelt, respektiert und im besten Fall auch belohnt werden.

Das gute Beispiel

Bleibt abschließend noch der Blick auf Bibiana Steinhaus. 2017 war sie die erste Frau, die ein Bundesliga-Spiel der Männer pfiff. Damals war die Skepsis groß. Eine Frau im Profifußball? Kann das gut gehen? Doch trotz anders lautender Vorhersagen ist weder Bibiana Steinhaus an der Aufgabe zerbrochen, noch hat der Fußball unter ihren Entscheidungen gelitten. Bibiana Steinhaus leitete zum Hinrunden-Abschluss das Spiel zwischen Leipzig und Bremen. Ein spannendes, ein spektakuläres Spiel, das Leipzig schließlich mit 3:2 gewann. Darüber, dass der Schiedsrichter eine Schiedsrichterin war, hat aber niemand gesprochen. So soll es sein. So kann es weitergehen.