Essen. Stephen Kings neuer Roman „Die Arena" kommt fast ohne Horror aus dem Jenseits aus. Der Mensch ist sich Monster genug. Eine Kleinstadt wird abgekapselt vom Rest der Vereinigten Staaten zum Ort der eigenen Gesetze. Eine Geschichte grauenhaft wie das Leben – wenn man sich nur hinzuschauen traut.
Zu den drei, vier Grundszenarien, die Stephen King zur Entfaltung seiner Lieblingsalbträume genügen, zählt dies: Ein langweiliges Kaff fällt kurzfristig in schlechte Hände. In aller Regel gehören sie dem Teufel oder dem, was man heute dafür hält.
Stephen Kings neuer Roman steigert das Grauen verblüffend minimalistisch: Er lässt das mit dem Teufel und überlässt Menschen – in einem urplötzlich rechtsfreien Raum – ganz einfach sich selbst. Sie ahnen das Ergebnis: Mehr Monster war nie.
Kuppel über Chester's Mill
Es gefällt einer extraterrestrischen Macht, dem kleinen Chester's Mill urplötzlich eine unzerstörbare Kuppel überzustülpen, durchsichtig, wehrhaft, irrsinnig hoch, irrsinnig tief. Dass dabei trennscharf ein argloses Murmeltier halbiert wird, nehmen wir noch als possierlichen Witz.
Mit der Kuppel aber schlägt in einem bigotten Weiler jene Stunde, in der rasch sich die Spreu vom Weizen trennt. Natürlich sitzt in einer guten King-Geschichte die Spreu im Sattel und zeigt in schleichender Hässlichkeit, wozu sie fähig ist. „Die Arena" ist eröffnet, Löwen reinbitten unnötig, man tötet noch von Hand. Schließlich ist Morden wie Kartoffelchips, „es ist schwer aufzuhören, wenn man einmal damit angefangen hat."
Ein Ort der eigenen Gesetze
Und so wird Chester's Mill – in Sekunden abgekapselt vom Rest der Vereinigten Staaten – ein Ort der eigenen Gesetze. Geschrieben hat sie sämtlich der zweite Stadtverordnete Jim Rennie, ein herzkranker Fettsack mit Wolfsgrinsen. Die miesen Werbesprüche dieses Gebrauchtwagenhändlers („Würde Jesus diesen Deal billigen?") sind so verlogen wie der fromme Rest. „Reines Haus, reine Hände, reines Herz", sagen sie in seinem Reich, wo die schicke neue Kirche das Potemkinsche Dorf für Rennies Drogenfabrik ist und Halbwüchsige zur dumpfen Bürgerwehr werden. Und an den neuen Präsidenten haben sie sich auch noch nicht recht gewöhnt: „Linke Spinner. Haben ein Bild von Uncle Barack über der Bar."
Ein Ort: abgekuppelt von Recht und Ordnung also, aber wir haben ja Jim Rennie, der viel besser weiß, wie's geht, ja, dem die Abgeschlossenheit regelrecht zupass kommt, sein fauliges Imperium aus Einschüchterung, Korruption und Abhängigkeit in diesen apokalyptischen Zeiten zu betonieren. Außerdem: „Gott hilft denen, die sich selbst helfen!"
Natürlich gibt es in diesem kollabierenden Morast Helden. Einer ist ein Ex-Militär. Inzwischen brät Dale Barbara lieber Burger als den Feind. Den straffen Typen nennen Sie „Barbie". Rennie, sein Widersacher, heißt im Volksmund „Big Jim". Zwei Namen, die in diesem Kampf ums Überleben an amerikanische Kinderzimmer-Lieblinge denken lassen. Ein Zufall ist das kaum.
Kleiner Schritt von der Befreiungstruppe zur Folter
Wie ein Riesenspielzeug breitet King dieses Dorf vor uns aus: Laborversuch Gemeinschaft. Der Gegner: unberechenbar. Die Resourcen: rasch schwindend. King seziert (mit sadistischer Zähigkeit und perspektivisch raffinierter Montage) nicht nur alles kleinbürgerliche Idyll. Er beschreibt mit der„Arena" geradezu gleichnishaft, wie klein der Schritt von der Befreiungstruppe zur Folter ist, wie Killen Kompensation wird und Gewalt Selbstzweck. Kurz: Wie Abu-Ghuraib passieren konnte. Immer wieder streut King den Irak-Krieg in dieses große Katastrophen-Panorama, ein zweites Vietnam schleicht sich in Herz und Hirn Amerikas.
Auffällig, dass wir angesichts von fast 1300 Seiten so lange nicht von übersinnlichem Horror gesprochen haben? Er ist tatsächlich zu vernachlässigen, wenn nicht gar das Missratene an diesem neuen King, der in vieler Hinsicht an alte Qualitäten erinnert.
Natürlich ist das – wie immer – ein Schinken, ein Machwerk vielleicht und 250 Seiten Kürzung wären locker drin (bitte auch das moralische Ende). Aber gekonnt ist es doch, dramaturgisch clever gebaut, voll von grandiosen Typen. Und grauenhaft wie das Leben – wenn man sich nur hinzuschauen traut.