Essen. Der Mitherausgeber der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schreibt in seinem neuen Buch “Payback“ über die Staublunge des digitalen Zeitalters - über Mensch und Computer im Wettlauf und schlägt Alarm. Dem “Informationsfresser“ droht die dauernde “Ich-Erschöpfung“.

Der Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreibt in seinem neuen Buch "Payback" über die Staublunge des digitalen Zeitalters - über Mensch und Computer im Wettlauf und schlägt Alarm. Dem "Informationsfresser" droht die dauernde "Ich-Erschöpfung".

Die Festplatte ist überlastet, der Systemabsturz droht. „Ich bin unkonzentriert, vergesslich, und mein Hirn gibt jeder Ablenkung nach”, so umreißt Frank Schirrmacher das Lebensgefühl im Informationszeitalter. Computer beherrschen nicht nur den Alltag, sie beherrschen uns, schreibt der 50-jährige: Sein heute erscheinendes Buch „Payback” ist, wie schon „Das Methusalem-Komplott” und „Minimum”, darauf angelegt, eine Debatte zu besetzen.

"Der Computer ist kein Medium: Er ist ein Akteur."

Wie nötig diese ist, darüber dürfte Einigkeit herrschen. Auch die Stichworte „Informationsflut” und „ertrinken” sind uns geläufig. Doch geht der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Schritt weiter als die meisten, indem er das Problem nicht auf den Umgang mit Medien reduziert: „Der Computer ist kein Medium: Er ist ein Akteur.” Als solcher unterwerfe er uns, unser Gehirn, einer nie dagewesenen Verwandlung, an deren Ende wir hilflos als kafkaesker Käfer auf dem runden Rücken liegen.

Nicht weniger als die drei wichtigsten Ideologien der vergangenen 200 Jahre, so Schirrmacher, fänden im digitalen Zeitalter als „Lebenspraxis” zusammen: Der Marxismus vor allem „in Gestalt kostenloser Informationen”, der Darwinismus als „Vorteil für denjenigen, der als Erster die entscheidende Information hat” und der Taylorimus (also die durch Stoppuhr gesteuerte Arbeitsoptimierung) in Gestalt des Multitaskings.

Bei diesem Wort muss jeder Gesellschaftskritiker zur Hochform auflaufen: Multitasking sei „ernsthafte Deformation”, „die Staublunge des digitalen Zeitalters” – also: „Körperverletzung”. Multitasking aber kann noch mehr. Eine Studie zeigt: Multitasker „verlieren systematisch ihre Fähigkeit, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden”. Die Effizienz von Multitaskern sinkt, ihre geistigen Leistungen auch. So viel zum arbeitsoptimierenden Taylorismus.

Eine Gefahr, der der Informavores rex (Informationsfresser) im darwinistischen Kampf sich aussetzt, ist Durchschau- und Überwachbarkeit. Die altbekannten Warnungen erhalten Würze durch akribisch recherchierte Angstmacher: Große Konzerne entwickelten längst „Menschenbewertungssysteme”, die kalkulierten, „was jeder Arbeitnehmer mit seinen Fähigkeiten, Angewohnheiten, Launen und Krankheiten in Zukunft wert sein wird”.

Zwangsverschickung des Geistes in die Vergangenheit

Und der Marxismus, nun ja, hält sich virtuell kaum besser als real: Der Preis des kostenlosen „All-you-can-read”-Büffets, die Informationsflatrate im Internet also, sei permanente „Ich-Erschöpfung”.

Haben wir noch eine Chance? In den wunderbaren, virtuosen Worthülsen schlummert ein kleiner Kern, aus dem Lösungen erwachsen könnten – was immer noch mehr ist, als andere bisher zur Debatte beitrugen. Gefordert sei ein „Perspektivwechsel”, Rückbesinnung auf Kreativität und ja, Menschlichkeit. Es sei wichtig, „Hypothesen, Faustregeln und Denkweisen” zu lehren und zu lernen. Bildung in Deutschland vergleicht der streitbare Autor mit dem Auswendiglernen von Telefonbüchern: „eine Zwangsverschickung des Geistes in die Vergangenheit”.

Wenn Frank Schirrmacher schreibt, die Informationsgesellschaften seien nun „gezwungen, ein neues Verhältnis zwischen Wissensgedächtnis und Denken zu etablieren” – dann bedeutet dies nicht weniger, als ein Speichermedium in seine Schranken zu verweisen. Und die Grenze zu verteidigen: zwischen Mensch und Maschine.

Frank Schirrmacher: Payback. Blessing, 240 S., 17,95 Euro