. Der Comic-Autor Reinhard Kleist hat Nick Caves Künstlerbiografie gezeichnet. Die Vita eines Unangepassten ist zur furiosen visuellen Erzählung geworden.

Nick Cave ist ein Sänger der Extreme, er gibt auf der Bühne den manischen Gospel-Prediger, den irren Derwisch, den Todeskandidaten, der das Schicksal herausfordert. Er schlüpft nicht nur in seine Figuren, er lebt sie förmlich aus. Comic-Autor Reinhard Kleist verknüpft nun in seiner Graphic-Novel „Nick Cave — Mercy On Me“ die Künstlerbiografie mit Caves Songs und deren Figuren.

Reinhard Kleist ist so etwas wie der Experte für mitreißende Biografien mit hartem Schwarzweißstrich, wie er zuletzt mit den preisgekrönten Sportler-Geschichten „Der Boxer“ und „Der Traum von Olympia“ unter Beweis stellte.

Auf dem falschen Kontinent geboren

Die Geschichte von Nick Cave ist die eines Australiers, der mit seinen musikalischen Vorlieben auf dem falschen Kontinent geboren wurde. Er spürte den Rebellengeist des Punk und ging mit seiner Band „The Boys Next Door“, die später zu „The Birthday Party“ werden sollte, nach Europa, weil dort Punk und New Wave eine viel gewaltigere Wirkung entfesselten.

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Dass Kleist sich bei Caves Songs und Texten als erzählerisches Vehikel bedient, entbindet ihn von der lästigen Pflicht zur biografischen Vollständigkeit. Es beginnt mit dem Jungen aus dem „Hammer Song“, erzählt die Mordballade „Where The Wild Roses Grow“ mit der hübschen Eliza Day, zitiert aus dem Roman „Und die Eselin sah den Engel“, porträtiert den Todeskandidaten aus „The Mercy Seat“ und landet schließlich beim „Higgs Boson Blues“.

Kanalisierte Wut

Kleist erzählt das wie eine klassische Entwicklungsgeschichte: Der unangepasste Junge kanalisiert seine Wut und erschafft aus ihr Musik, getrieben vom Wunsch, jemand Besonderes zu sein. Dabei sucht er nach neuen, radikalen Ausdrucksformen in ständigem Ringen mit sich selbst. Was ihn in die Drogenabhängigkeit treibt und seine Beziehung kostet. Der Zeichner entwirft ganz nebenbei ein grandioses Bild der Musikszene der 80er-Jahre in London und West-Berlin, man begegnet auf den Seiten Musikern wie Lydia Lunch, Siouxsie Sioux, Peter Murphy von Bauhaus, den Psychedelic Furs, Bela B. Und natürlich Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, den Cave ja in seine Band „The Bad Seeds“ holte. All das ist furios erzählt und großzügig illustriert.

Mehr vom Bekannten

Den einzigen, winzigen Vorwurf, den man Kleist machen kann: Die Figur des düsteren, abgründigen Musikers taucht bei ihm nicht zum ersten Mal auf, man fühlt sich an vielen Stellen erinnert an „Cash — I See A Darkness“, seinen ersten Musiker-Comic, mit dem ihm 2006 der internationale Durchbruch gelang. „Mercy On Me“ steht dem in nichts nach, doch hat man den Eindruck, dass es einfach mehr vom Bekannten ist.

Die Geschichte führt Cave am Ende zu einem Dialog mit Blues-Legende Robert Johnson und zur faustschen Frage, ob man seine Seele für die Unsterblichkeit verkaufen sollte. Für Cave, das ist klar, gibt es kein Zurück mehr vor der popmusikalischen Unsterblichkeit. Ob sie den gerade 60 Jahre alt gewordenen Cave seine Seele kostet, bleibt abzuwarten.

Reinhard Kleist: Nick Cave — Mercy On Me, 328 Seiten, 24,99 Euro