Der 1917 gegründete „De Stijl“ und Maler Piet Mondrian werden 2017 in den Niederlanden gefeiert. Den Anfang macht eine Ausstellung in Den Haag.

Der Erste Weltkrieg war noch nicht beendet, aber den Künstlern in Amsterdam war klar: Das ist das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Die Kirchen aller Konfessionen hatten die Waffen gesegnet für ein nie gekanntes, industrielles Abschlachten von Millionen Soldaten, die geistliche wie geistige Bankrotterklärung des Kontinents verlangte nicht nur für die Künstler einen radikalen Neuanfang – aber gerade für sie.

Und während sich in Deutschland allmählich die Bauhaus-Idee herauskristallisierte, die 1919 in ein Manifest mündete, gründete sich vor 100 Jahren in den Niederlanden die Künstlergruppe „De Stijl“, die einen radikalen Neuanfang verlangte, die Schmuck- und Schnörkellosigkeit zum Programm erhob und mit der gleichnamigen Zeitschrift einen Beitrag zur „Entwicklung eines neuen Schönheitsbewusstseins“ liefern wollte und „den modernen Menschen für das Neue in der Bildenden Kunst empfänglich machen.“

Reinheit der Farben

Die neue Religion dieser Bewegung ist die Geometrie, ihre Spiritualität sucht sie in der Reinheit der Farben. Wie das Bauhaus will auch „De Stijl“ Kunst und Alltag im Design zusammenbringen, wie das Bauhaus soll sich auch bei dem Möbelbauer und Architekten Gerrit Rietveld die Form eines Gebrauchsgegenstandes nach seiner Funktion richten. Sein „Rietveld-Stuhl“ und das bis auf den heutigen Tag modern anmutende „Rietveld-Schröder-Haus“ in Utrecht, das inzwischen zum Weltkulturerbe zählt, zählen zum Bekanntesten, was „De Stijl“ hervorgebracht hat.

Mondrian: „Der graue Baum“ (1911).
Mondrian: „Der graue Baum“ (1911). © Gemeentemuseum Den Haag

Noch bekannter allerdings wurde der Maler Piet Mondrian, neben dem führenden Theoretiker (und Maler) Theo van Doesburg eine der Hauptfiguren der Bewegung. Mondrian war unter anderem durch seinen Onkel Ende des 19. Jahrhunderts zum Landschaftsmaler in der Manier der Haager Schule ausgebildet worden, die das bloße Abbilden zugunsten von atmosphärischen Eindrücken, von ersten impressionistischen Anflügen aufgegeben hatte. Mondrian, der seinen Lebensunterhalt weiterhin mit konventionellen Bildern verdiente, die gefällige, „schöne“ Landschaften oder würdige Porträts zeigten, ab­strahierte in seinen privaten Malereien immer mehr von den wirklichen Landschaften, inspiriert von van Gogh lösten sich Umrisse auf in und um Amsterdam etabliert, hatte seine Auftraggeber und Sammler – und war der erste Maler, der die Wände in seinem Atelier vollständig weißen ließ und auf die zeitgenössisch üblichen üppigen Wanddekorationen weitgehend verzichtete.

Frühform von SMS und WhatsApp

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Mondrian, der in Paris schon den Kubismus gesehen hatte, trifft mit seinem Malerkollegen Bart van der Leck zusammen, sie diskutieren Abend um Abend über eine neue Kunst und nähern sich auch in der Malerei immer weiter an. Diskutiert wurde nicht nur Auge in Auge, sondern auch mit modernsten Kommunikationsmitteln. Die niederländische Post lieferte zu dieser Zeit vier Mal täglich aus, und wer besonders schnell schrieb, konnte noch am gleichen Tag seinem Briefpartner eine Antwort zukommen lassen – eine frühe Form von SMS und WhatsApp.

Piet Mondrian: „Wald bei Oele“ (1908).
Piet Mondrian: „Wald bei Oele“ (1908). © Gemeentemuseum Den Haag

Eine neue Ausstellung im Gemeentemuseum von Den Haag, das mit 300 Werken über die größte Mondrian-Sammlung der Welt verfügt, zeigt den gemeinsamen Weg, den Piet Mondrian und Bart van der Leck eine Weile lang zurückgelegt haben, bevor sie sich wieder trennten. Van der Leck postulierte: „Farbe ist der plastische Ausdruck des Lichts.“ Und diesen plastischen Ausdruck setzte Mondrian immer freier in der Form um. Es sind Kirchenfenster in Domburg, die ihn zu ersten Abstrahierungen anregten.

Weltberühmte Quadrate in Primärfarben

Die Den Haager Ausstellung wartet nicht nur mit einer Vielzahl von Gemälden auf, die besonders Mondrians Weg zeigen zu jenen Quadraten in Primärfarben, für die er heute weltberühmt ist. Sie jedoch waren nur eine Seite von „De Stijl“, die Seiten der Zeitschrift sind voll von Anregungen, mit denen die gesamte Lebenswelt neu und rational, nach den Maßgaben der Vernunft gestaltet werden sollte. Deshalb gehört zu der Den Haager Ausstellung auch ein Sideboard, das Gerrit Rietveld in streng geometrischen Formen entwickelt hatte und das sich mit relativ einfachen Mitteln nachbauen ließ.

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Ein kleines Meisterstück lieferte Rietveld schließlich Mitte der 20er-Jahre mit dem Bau eines Hauses für die Witwe Truus Schröder-Schräder im niederländischen Utrecht. Der Bau, der sich auch für heutigen Geschmack heute noch grundmodern ausnimmt, wirkt wie ein weißer, Meteorit, der in eine Backsteinsiedlung hineingestürzt ist.

Der Trick des Architekten

Das Besondere ist die Inneneinrichtung des Hauses mit extrem vielen versetzbaren und klappbaren Wänden. Architekt Rietfeld musste allerdings einen Trick anwenden, um die nötige Baugenehmigung zu bekommen. Wenn die Beamten bemerkt hätten, welche Revolution sich da mit einem weiß verputzten Flachdach-Bau direkt an einem Ziegelhaus anbahnt, hätten sie niemals zugestimmt. Rietveld jedoch legte seine Zeichnungen so an, dass der Giebel des angrenzenden Hauses wie ein Dach über dem Bungalow wirkte. Der weltweite Erfolg des Entwurfs sollte dem Baumeister mit dem täuschenden Strich am Ende Recht geben.