Essen. Mit seinem Roman "Hunger" schrieb er eine der präzisesten Studien über den Wahn, die Widersinnigkeiten des Leben und die Folgen bittere Armut. Am Ende war er selbst in der Sackgasse der Vernunftkritik: Vor 150 Jahren wurde der norwegische Nobelpreisträger und Nazifreund Knut Hamsun geboren.

Tragisch? Komisch? Oder nur auf hirnverbrannte Weise verbohrt – wie immer man es nennen mag: Ende April 1945 schreibt Knut Hamsun für die letzte NS-Nummer der Zeitung „Aftenposten” einen glühenden Nachruf auf Adolf Hitler. Der Prozess, den ihm daraufhin die Norweger machten, verzögerte sich zwei Jahre lang – man spekuliere auf eine biologische Lösung des Problems, vermutete der Schriftsteller, der schon 1923, in seinem Dankestoast zum Nobelpreis, über sein Alter geklagt hatte.

Der weit über 80-jährige Hamsun wird in der Psychiatrie auf seinen Geisteszustand untersucht, besteht vor Gericht aber vehement auf seiner Zurechnungsfähigkeit.

An die aber glaubten manche schon seit 1934 nicht mehr, als sich Hamsun offen zu den Nazis bekannte. Immerhin konnte er, als das deutsche Besatzungsregime seine Landsleute terrorisierte, einige Inhaftierte vor der Hinrichtung retten; am Ende aber ging er Hitler und dem in Norwegen installierten Reichskommissar Terboven (der zuvor Gauleiter in Essen war) derart auf die Nerven, dass sie mit ihm nicht mehr reden wollten.

Lügen gegen Vernunft

In diese Sackgasse hat sich Hamsun nicht nur durch seinen fanatischen Hass auf alles Englische verirrt; die radikal irrationale Blut-und-Boden-Ideologie war die letzte Zuflucht für einen, der alles, was die Vernunft oder eine humanistische Moral behaupten würden, mit der ätzenden Säure seiner Skepsis übergossen hatte. Der moderne Dichter, behauptete Hamsun schon um 1890, „bestreitet offen die Wirklichkeit, präsentiert die hartnäckigsten Lügen – direkt entgegen aller Wissenschaft und gesunden Vernunft, verhöhnt sie, indem er sie auf das rücksichtsloseste ignoriert”.

Hamsun, vor 150 Jahren am 4. August 1859 geboren, tat das erfolgreich und mit Faszinationskraft – bei seinen berüchtigten Vorträgen etwa saß Henrik Ibsen, den Hamsun stets mit polemischem Hohn übergoss, in der ersten Reihe. Und literarisch war sein Wüten gegen eine rationale Psychologie höchst erfolgreich – man nehme nur seinen ersten Roman-Erfolg „Hunger”, dessen Held arm und immer ärmer durch ein Oslo torkelt, das noch Kristiania heißt: Eine präzisere Studie über den Wahn und die Widersinnigkeiten, die bittere Armut in den Köpfen ihrer Opfer anrichtet, wird es kaum geben; literarisch sind hier die ausweglosen Welten eines Kafka vorweggenommen, mit einer Sogkraft, die jeden Leser den Kopf schütteln und doch weiterlesen lässt.

Geächtet, blind und taub

Neuauflagen

Hamsuns „Hunger” ist bei Claassen in einer Neuauflage erschienen, die sich durch ein Nachwort von Daniel Kehlmann von Vorläufern unterscheidet. Bei Manesse ist dagegen der Roman „Pan” von Ingeborg und Aldo Keel auf glänzende Weise neu aus dem Norwegischen übersetzt worden.

Das Unheil namens Gesellschaft ließ Hamsun die Natur als Zuflucht erscheinen, so wie sie sein Nobelpreis-Roman „Segen der Erde” noch feiert. So wurde ihm das Leben zum Selbstzweck, und auf die Frage, was für ihn das Schlimmste sei, antwortete er: „Zu sterben! Ich würde nicht im Traum daran denken, es zu tun, wenn ich es nicht müsste.” Er tat es am 19. Februar 1952, geächtet, taub und blind – und einige Meilensteine der Literatur hinterlassend.