Jan Vetter alias Farin Urlaub hat sich Aktivurlaub von den Ärzten genommen und erstmals ein Studioalbum mit seinem Racing Team realisiert. „Die Wahrheit übers Lügen“ erscheint heute und versprüht eine (un)gehörige Portion schwarzen Humor. freizeit traf den Sänger und Songschreiber.

Hallo Farin, Ihr neues Album heißt „Die Wahrheit übers Lügen”. Wollen Sie mit Ihren Songs aufklärerisch agieren?

Urlaub: Nein. Ich will Denkanstöße liefern. Aufklärung wäre zu hoch gegriffen – das würde ich mir selber nicht abnehmen. „Die Wahrheit übers Lügen“ ist der Titel eines Songs, der nicht fertig geworden ist. Bevor dieses Lied gar nicht auftaucht, wollte ich wenigstens den schönen Titel verwenden.

Sind Songs wie „Krieg” das Resultat eigener gesellschaftlicher Beobachtungen?

Urlaub: Das Schubsen oder Pöbeln im Alltag ist dasselbe Grundverhalten, das letztendlich auch zu einem Krieg führt. Ich bevorzuge es, Auseinandersetzungen ausschließlich verbal durchzuführen.

Andererseits fängt Ihr Song „Die Leiche” die Atmosphäre eines Psychothrillers ein. Schlüpfen Sie da in die Mörder-Gestalt hinein?

Farin Urlaub & Racing Team live

20.11. Düsseldorf (Philipshalle), 25,30 €: 0211/775057,

25.11. Münster (Halle Münsterland), ca. 27 €: 01805/280123, www.DerWesten.de/freizeit

Urlaub: Das möchte ich lieber offen lassen. Ich habe angefangen mit der Zeile „Es schwimmt eine Leiche im Teich“ und abgewartet, wohin sie mich führen wird. Der Song erinnert mich an die Szene in Hitchcocks „Psycho“, als der Zuschauer feststellt, dass Norman Bates' Mutter gar nicht mehr lebt. Bis dahin ist man immer von einer unheilvollen Figur ausgegangen. Ich habe versucht, diese schwebende Situation in ein Lied zu packen. Ein Missklang, der sich nicht in einen Wohlklang auflöst.

Sind Sie interessiert an Psychologie und daran, was Menschen zu Tätern macht?

Urlaub: Ich habe kein Faible für Gestörte. Ich will überhaupt wissen, wie Leute ticken. Wenn man als junger Mensch vor eine Wahl gestellt wird, denkt man, alle würden sich genauso entscheiden wie man selbst. Bis man feststellt, dass jeder Mensch aus derselben Situation seine eigenen logischen Schlüsse zieht. Je älter ich werde, desto mehr versuche ich, das zu verstehen.

Sie gehören schon lange zum deutschen Pop-Establishment...

Urlaub: Ich glaube, Die Ärzte finden komplett parallel zum Establishment statt. Wir verkaufen viele Platten und haben überraschend viel Publikum, aber wir gehören zu keinem Kreis. Das verwechseln die Leute manchmal, auch Musiker. Ich will mich nicht abfeiern lassen. Ich trage meinen Ruhm nicht vor mir her, wenn ich nicht mit der Band unterwegs bin. Dann bin ich privat. Das unterscheidet mich von vielen anderen.

Mussten Sie sich irgendwann eigentlich mal fragen, ob Sie überhaupt noch unbequem sein können?

Urlaub: Ich habe gar nicht das Gefühl, dass ich darüber nachdenken muss, wie ich bin. Möglicherweise geht das den Leuten irgendwann auf den Sack, aber ich werde mich niemals verstellen. Nur weil es mir persönlich gut geht, heißt das noch lange nicht, dass ich mich über nichts mehr aufregen kann. Natürlich könnte ich mich in meinem Wohlstand auch von vielem Elend isolieren. Aber ich versuche, das nicht zuzulassen.

Franz Müntefering hat kürzlich über den ungezügelten Kapitalismus geschimpft. Teilen Sie seine Meinung?

Urlaub: Ich übe eher Kritik an Menschen. Das kapitalistische System wurde ja nicht aufoktroyiert. Menschen haben es sich ausgedacht. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass der Kapitalismus völlig daneben liegt. Das Problem ist, dass der Bürger mit seiner Macht oft falsch umgeht.

Sie meinen die Macht des Konsumenten beim Griff ins Einkaufsregal?

Urlaub: Auch. Man steht großen Konzernen, deren Politik man verabscheut, ja nicht machtlos gegenüber. Man kann sie boykottieren. Wenn man die Politik des eigenen Landes für verabscheuenswürdig hält, kann man andere Parteien wählen. Ich mag es nicht, wenn Leute sich fügen. Man kann immer etwas ändern.

Kann sich die Popmusik immer wieder neu erfinden?

Urlaub: Das geht mit Sicherheit. Manche behaupten, es gäbe keine neue Musik mehr, sondern nur noch neue Mischungen. Das glaube ich nicht.

Im Feuilleton wurde unlängst die Angst der 40-Jährigen vorm Spießertum diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Urlaub: Gewisse Sachen, die man Spießern unterstellt, finde ich gar nicht schlimm. Ich selber habe Eigenschaften wie Ordnungsliebe, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit. Aber ich bin auch wagemutig und abenteuerlustig, was so genannte Spießer erschrecken würden.