Essen. »Heimat ist dort, wo man kein Fernweh hat« - Die Initiatoren und Organisatoren des Design-Netzwerks »Heimatdesign« aus Dortmund bringt Kreative und Normalsterbliche zusammen – und das nicht nur im Ruhrgebiet

// Schon komisch, aber Marc Röbbecke scheint momentan selbst ein wenig heimatlos zu sein. Da »Heimatdesign« gerade mal wieder umzieht, hat Röbbecke als Treffpunkt eine Café-Bar unweit des Dortmunder Konzerthauses vorgeschlagen. Der Initiator und Organisator des Design-Netzwerks könnte rein optisch bei einer Band wie »Blumfeld« mitspielen; einfacher grauer Pullover, Indie-Scheitel und ein zurückhaltendes Lächeln. Keine Macher-Attitüde, dafür freut er sich über die mit Schokolade gefüllten Mini-Kekse, die zum Kaffee gereicht werden und stellt die freundliche Hündin vor, die ihn begleitet: »Rosa, unsere Heimatwölfin.«

Apropos Heimat – was ist das überhaupt? »Heimat ist dort, wo man kein Fernweh hat«, versucht es Röbbecke knackig auf den Punkt zu bringen. »Heimat ist da, wo man sich aufhängt«, hat hingegen der österreichische Autor Franz Dobler gesagt. Grinsen: »Tja, wer weiß, was die Zukunft bringt…«, dann aber holt Röbbecke etwas weiter aus und beschreibt damit eigentlich die Philosophie seines Unternehmens: »Es ist ein Gefühl – dass man sich wohlfühlt, bei dem was man tut. Mit Interesse und Spaß arbeiten zu können, und Menschen um sich zu haben, die genauso denken. Ein Gefühl, das anhält.« Es ist dieser Netzwerkgedanke, der hinter allem steckt, was »Heimatdesign« macht. Als Plattform und Veranstalter für junges Design aus dem Ruhrgebiet organisieren Röbbecke und seine Mitstreiter Messen und Veranstaltungen, betreiben in Dortmund einen eigenen Laden, in dem Designprodukte aus der Region verkauft werden, und geben jedes halbe Jahr ein kostenloses Magazin mit derselben Thematik heraus.

Mut zum eigenen Sortiment

Unter Design verstehen sie ein breites Spektrum von Grafik, Fotografie, Mode, Möbel- und Interiordesign. Angefangen hat alles ganz klein; zuerst war da die Idee einer Modenschau im Rahmen eines Künstlernetzwerks – »da merkte man schon, dass da großes Potenzial dahintersteckt. Das hat aber leider niemand mitbekommen«, so Röbbecke. Trotzdem blieb er dran und initiierte 2004 eine erste Modenschau in der Dortmunder Berswordthalle, wo sich immerhin 1000 Besucher die Entwürfe junger Modedesigner ansahen. Zeitgleich erschien auch das erste »Heimatdesign«-Magazin, das Röbbecke damals noch komplett selber geschrieben hat. Dabei war die Beschäftigung mit Design beruflich erstmal gar nicht angedacht. 1971 geboren, wurde er zunächst Bürokaufmann und arbeitete zwei Jahre in dem Job, bevor er Wirtschaftsingenieurwesen studierte. Klingt nicht gerade sexy. »Stimmt. Im 8. Semester habe ich auch die Lust verloren, mich mit Schmierstoffen und lösbaren wie nichtlösbaren Verbindungen zu beschäftigen, und bin eher dem eigenen Kopf und Bauch gefolgt.«

Anfang 2005 hatte ihn jener Bauch wieder ein Stück weitergeführt. In einem leerstehenden Autohaus fand die erste kleine Messe mit 50 Ausstellern statt. »Das war Punk-Rock, ohne Ordnungsamt und Brandschutz! Brachte zwar kein Geld, aber Spaß!« Danach schlug »Heimatdesign« 2006 erstmals mit einer großen Veranstaltung in der Kokerei Zollverein auf. Der »Zukunftswettbewerb Designkonzept Ruhrgebiet« bot Raum für Modenschauen und einen »Heimatdesign«-Markt, wo Gestalter und Kreative ihre Produkte vorstellen und verkaufen konnten. Auch Designagenturen aus dem Revier wie »labor b« oder »Oktober« präsentierten ihre Arbeiten. 2007 konnten sich die Heimatdesigner für ein halbes Jahr richtig austoben: Ein leeres, kurz vor dem Abriss stehendes Hotel am Dortmunder Rombergpark bot dem Konzept vorübergehend Raum. Nächste Station war ein Ladenlokal an der Kleppingstraße, und seit neuestem ist »Heimatdesign« am Hohen Wall, in der Nähe des Dortmunder »U«-Turms, zu finden. Hier, im ehemaligen Fundbüro des Ordnungsamtes, glaubt man endlich richtig angekommen zu sein, mit genug Platz für Büro, Ausstellungen und den Shop, in welchem man Mut zum eigenen Sortiment und Anspruch zeigt: »Wir wollen kein übercooles Design-Nerd-Lädchen sein, sondern Transporter und Vermittler. Natürlich sollen uns die Kreativen gut finden, aber wir wollen auch Leute begeistern, die nicht vom Design kommen.« »Heimatdesign« bietet eine Plattform, die der Nachwuchs aus den Universitäten nutzen kann, um sich zu professionalisieren. »Aber wir nehmen auch nicht alles, wir veranstalten hier schließlich kein Kunsthandwerk.«

Der Rest ist Netzwerk

So finden sich im Sortiment Möbel wie der Raumteiler des Dortmunders Stephan Piotrowski und futuristische Lamellenlampen von »Limpalux« aus Essen. Die Retro-Turnschuhe »Oxford« und »Bolero«, mit denen Jan-Peter Wulf und Ji-Hum Kim der angejahrten Schuhmarke »Romika« wieder Coolness verliehen haben. Außerdem Mode des Labels »Schwarzwaldkirsch«, CDs mit Musik von Dortmunds Pommesbuden-Elvis Boris Gott und Lesungen von Martinis »Monstergeschichten«. Taschen von »Zechenkind«, die aus recycelter Bergmannskluft genäht werden. Oder die Keksausstecher »Lieblingsplätzchen«, mit denen sich Gebäck in der Form des Zollverein-Förderturms oder des »U« formen lässt. Und wer sich komplett zu Dortmund bekennen will, greift zum knallgelben »I love U«-Shirt der »Bande für Gestaltung«, jenem Grafikbüro, das momentan auch das »Heimatdesign«-Magazin layoutet; ein Heft nicht nur für Branchenkenner, »da sollen auch meine Eltern drin lesen können« ergänzt Röbbecke.

Trotzdem findet man auch Produkte von auswärts, wie die »Taschenbegleiter« – filzene Notizbücher von »Roter Faden« aus Saarbrücken. »75 Prozent der Produkte kommen aus der Region, der Rest sind kleine Highlights, die uns auch wichtig sind. Es gibt im Ruhrgebiet zwar viel, es gibt aber vieles auch nicht.« Anfang des Jahres hat man mit der Messe »Designers Fair« die Heimat dann auch bis an den Rhein ausgedehnt und auf den Kölner »Passagen« aktuelles Möbel- und Interiordesign gezeigt. Großen Zulauf erhielt auch jüngst die »Pecha Kucha Night«, wo vor Publikum Powerpoint-Präsentationen neu betextet wurden. Und dann wäre da noch »Bildheimat«, die hauseigene Fotografenrepräsentanz. Allein schafft man so was aber nicht. Die Struktur ändert sich gerade, die langjährigen Mitstreiter Kay Berthold und Stefan Grey ziehen sich zurück, Röbbecke wird mit seiner Lebensgefährtin Reinhild Kuhn und Grafikerin Stefanie-Julia Wagner, der Frau für alles, »Heimatdesign« in die Zukunft führen. Der Rest ist Netzwerk.

Kein pures Ruhrpott-Merchandising

Dennoch: Besteht nicht die Gefahr, dass aus Heimatdesign ziemlich schnell Heimatkitsch werden kann, dass Produkte irgendwann zu nett oder niedlich werden? Röbbecke lächelt: »Die Gefahr besteht immer – manche Sachen sind sicher grenzwertig, aber das ist immer auch eine Frage der Präsentation. Wir wählen schon genau aus und bieten kein pures Ruhrpott-Merchandising; obwohl sich das U-Shirt mit am besten verkauft.« Und was passiert 2010, dem Jahr der Kulturhauptstadt? Mit großem Tam-Tam in den Creative-Hotspot »U«-Turm einziehen, wie es in den bunten Broschüren steht? Der Heimatdesigner gibt sich zurückhaltend bis skeptisch: »Mal abwarten, wie sich das entwickelt. Ansonsten machen wir nichts, was wir nicht auch schon bisher machen.« Aber das ist ja schon eine ganze Menge. //

Text: Volker K. Belghaus / erschienen in K.WEST Ausgabe Juni 2009