Hattingen. Mode für die Straße und für den Abend? Das junge Label "Schwarzwaldkirsch Fashion" wagt den Spagat und designed extravagante Streetwear, mitten in einem Wohngebiet in Hattingen.

In Hattingen ist Endstation. Für die S 3. Die Schnellbahnlinie fährt auf dem einzigen Gleis ein und wieder Richtung Essen ab. Hattingen ist für Sara Bönsch (30) und Jörn Quellmann (25) ein Startpunkt, allenfalls eine Zwischenstation ihrer Karriere, die gerade ins Rollen kommt. Die beiden Jungdesigner bewohnen dort in ländlicher Idylle ein Reihenhaus. Spießig sieht das Hauptquartier von „Schwarzwaldkirsch Fashion“ aus, aber nur von außen.

Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt





Sara und Jörn kommen gerade aus Barcelona wieder. Dort waren sie auf der „Bread & Butter“, einer international renommierten jungen Modemesse- und zwar als einzige deutsche Aussteller im Bereich „Fashion“. Dass ihr Stil dort mit Skandinavischem Design verglichen wurde, freut das Team Bönsch/Quellmann, auch, dass sie unter anderem eine Order aus Wales aufnehmen durften. „Der britische Markt gilt eigentlich als relativ geschlossen“, sagt Jörn.

Als Lokalpatrioten oder gar deutsche Modebotschafter sehen sich die zwei von Schwarzwaldkirsch trotzdem nicht. Sie wollen etwas schaffen, das sich an „internationalem Standard“ messen lässt – zwar unter einem deutschen Markennamen, aber gewürzt mit einer Prise Ironie. „Den Schwarzwald kennt auch jeder Engländer“, sagt Sara. Individuell, ein bisschen extravagant soll die Streetwear von Schwarzwaldkirsch daher kommen - in einer multikulturellen Designsprache. Weil ihr Name zwar prägnant, aber eben auch lang ist, steht auf den Teilen der neuen Kollektionen schlicht „I love SWK“ – im Stil des berühmten Schriftzuges „I love NY“ – mit Herz, schwarz auf weiß.

Kein „Babydoll“ in XL 

Die Modemacher Bönsch und Quellmann greifen Stilelemente, Details oder Accessoires von Modeklassikern auf, stellen diese aber nach eigener Manier zusammen: ein bisschen New Wave, ein bisschen Sixties. Retro? Nein, auf keinen Fall. Bauchfrei? Geht gar nicht. „Lang und slim sind viele unserer Schnitte“, sagt Sara. Weil lang und schmal aber nicht jeder tragen kann, gibt es einige Teile gar nicht erst in großen Größen. „Ein Babydoll in XL sieht eben einfach nicht aus, so ehrlich muss man sein“, zumindest, wenn es nach Sara und Björn geht.

Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt





Von ihrem Atelier aus haben sie eine weite Sicht über das Ludwigstal, die Modelandschaft in ihrer Heimat – Jörn stammt gebürtig aus Hattingen, Sara aus Wuppertal – beeindruckt die beiden aufstrebenden Designer aber wenig. „Es gibt hier einfach kaum Leute, die Fashion machen, um wirklich mit den großen Vertikalen wie H&M und Zara zu konkurrieren“, erklärt Jörn. Viele selbständige Modemacher der Region seien in ihrer Arbeit stattdessen sehr „künstlerisch angehaucht“, sagt Jörn. Es gebe viele Grafiker, die etwa T-Shirts in komplizierten Verfahren bedruckten. Eine Szene, die den Anspruch hat, Unikate zu schaffen, aber kaum Kollegen, mit denen man sich austauschen oder kooperieren könnte.

Heimatdesign ist das einzige bekanntere Netzwerk, das existiert. Da hängt das Ruhrgebiet echt ein bisschen hinterher – jeder kocht seine eigene Suppe.“ Ein großes kreatives Potenzial sieht Jörn in seiner Heimat trotzdem. „Ich bin gespannt, wo das Ruhrgebiet in 20 Jahren steht.“ Von Hattingen aus das Geschäft zu starten, war für die Schwarzwaldkirsch-Macher mehr eine Notlösung, als Teil des Konzepts: Die Doppelhaushälfte mit Aussicht gehört Verwandten - nirgendwo sonst könnten die beiden Jungunternehmer derzeit so günstig auf großem Raum wohnen und arbeiten.

Arbeiten unter einer Glocke

Die Designer: Sara Bönsch (30) aus Wuppertal und Jörn Quellmann (25) aus Hattingen. Quelle: Schwarzwaldkirsch
Die Designer: Sara Bönsch (30) aus Wuppertal und Jörn Quellmann (25) aus Hattingen. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt





„Vor allem im ersten Jahr hat uns das gut getan, so unter einer Glocke zu sitzen. Hier ist ja nichts.“, sagt Sara, „wir sind auch praktisch nie ausgegangen“. Das Duo konnte sich so intensiv einarbeiten, Arbeitstage von zwölf bis 14 Stunden sind noch immer die Regel. „Wenn man davon leben will, muss man auch die Zyklen des Marktes kennen und wissen, wann die wichtigen Messen sind, wie der Vertrieb funktioniert. Das sagt einem ja keiner.“ Auch sonst habe man als Selbständiger im künstlerischen Bereich einen schweren Stand in Deutschland, erklärt Jörn. Es gebe praktisch keine Förderung. „Klar, das ist Jammern auf hohem Niveau“, sagt Jörn. Zur Zeit suchen sie dennoch einen Investor.

Kennengelernt haben sich Sara und Jörn bei ihrer Kostümschneider-Ausbildung in Wuppertal. Eine harte Schule, bei der die beiden das klassische Handwerk erlernten. Dass sie ihre künstlerische Zukunft nicht am Theater, sondern in der Modebranche sahen, merkten beide schnell – und auch, dass sie auf einer Wellenlänge sind – das war 2006. „Wir finden die gleichen Dinge interessant und ergänzen uns in unserer Herangehensweise“, sagt Jörn. Er selbst kümmert sich um die Schnitte, Sara näht lieber die Musterentwürfe. Sie zeichnen beide.

Freundschaft: Das Schwarzwaldkirsch-Model ist Saras ehemaliges
Freundschaft: Das Schwarzwaldkirsch-Model ist Saras ehemaliges "Babysitterkind". Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt





Jedes einzelne Stück entsteht schließlich in Zusammenarbeit. Für ihre erste Kollektion „Tralafitti“, erschienen im Früjahr/Sommer 2008, waren es sechs Teile, nun sind es 34: Die Sommerkollektion für 2009 ist fertig. „Love me like Belmondo“ heißt sie, inspirieren lassen haben sich die Schwarzwaldkirsch-Designer dabei vom Kino der 60er Jahre, „also von der Atmosphäre in den alten Filme“, erklärt Sara: Die Schnitte sollen elegant sein, für die Straße aber auch schick genug für einen besonderen Abend. Eine musikalische Muse gab es auch: die französische Band Nouvelle Vague. „Wir hören aber alles Querbeet, auch Pop. Wenn es gute Musik ist, stört uns auch nicht, wenn es eben auch viele mögen“, sagt Jörn. Die Jungdesigner pflegen auch geschäftlich engen Kontakt zu Musikern. Die Newcomerband „Emma“ und die Sängerin Frida statten sie aus.

Bühnenoutfits zu kreieren, betrachten die beiden als besondere künstlerische Herausforderung - zudem frei von dem Zwang zu marktfähigen Produktionskosten. Ehrgeizige Anfangspläne, die komplette Kollektion in Deutschland herstellen zu lassen, mussten die Designer schnell aufgeben – eben wegen der zu erwartenden Kosten. Wie so viele Branchen-Kollegen lässt auch Schwarzwaldkirsch nun in der Türkei, in Istanbul, produzieren. „Weil wir dort immerhin davon ausgehen können, dass es europäische Standards gibt und keine Kinderarbeit“, sagt Sara. Ihre Mode soll dabei ihren Preis wert sein – nicht mehr und nicht weniger. Wenn erst genügend Kunden, diesen Wert erkannt haben, wollen Sara und Jörn das beschauliche Tal schließlich verlassen und umsiedeln. Das könnte dann so klingen: Schwarzwaldkirsch, nächster Halt: Berlin.


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Designer-WG: Im beschaulichen Hattingen hat sich das Schwarzwaldkirsch-Duo niedergelassen - vorerst. Ein Umzug nach Berlin ist die Perspektive. Bild: Insa Moog
Designer-WG: Im beschaulichen Hattingen hat sich das Schwarzwaldkirsch-Duo niedergelassen - vorerst. Ein Umzug nach Berlin ist die Perspektive. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Besuch bei Modelabel Schwarzwaldkirsch: Die Designer Sara Bönsch (30) und Jörn Quellmann (25) in ihrem Atelier in Hattingen. Bild: Insa Moog
Besuch bei Modelabel Schwarzwaldkirsch: Die Designer Sara Bönsch (30) und Jörn Quellmann (25) in ihrem Atelier in Hattingen. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Ordnung im Chaos: Schnitte und Vermerke zur aktuellen Kollektion zieren die Wand. Bild: Insa Moog
Ordnung im Chaos: Schnitte und Vermerke zur aktuellen Kollektion zieren die Wand. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Stylish aber nicht kostümiert: Schwarzwaldkirsch-Taschen gibt es auch. Bild: Insa Moog
Stylish aber nicht kostümiert: Schwarzwaldkirsch-Taschen gibt es auch. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Zukunftsstoff: Stücke aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion für 2009 hängen bisher nur im Atelier. Bild: Insa Moog
Zukunftsstoff: Stücke aus der Frühjahr/Sommer-Kollektion für 2009 hängen bisher nur im Atelier. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Freundschaft: Das Schwarzwaldkirsch-Model ist Saras ehemaliges
Freundschaft: Das Schwarzwaldkirsch-Model ist Saras ehemaliges "Babysitterkind". Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Stylish aber nicht kostümiert: Schwarzwaldkirsch-Taschen gibt es auch. Bild: Insa Moog
Stylish aber nicht kostümiert: Schwarzwaldkirsch-Taschen gibt es auch. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
WG-Hund: Mischlingsrüde Paul ist immer mit dabei. Bild: Insa Moog
WG-Hund: Mischlingsrüde Paul ist immer mit dabei. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Wachhund: Paul behält alles im Blick. Bild: Insa Moog
Wachhund: Paul behält alles im Blick. Bild: Insa Moog © Unbekannt | Unbekannt
Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt
Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt
Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt
Aus der Kollektion
Aus der Kollektion "Love me like Belmondo", Frühjahr/Sommer 2009, Schwarzwaldkirsch SWK Fashion. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt
Designer: Sara Bönsch (30) aus Wuppertal und Jörn Quellmann (25) aus Hattingen. Quelle: Schwarzwaldkirsch
Designer: Sara Bönsch (30) aus Wuppertal und Jörn Quellmann (25) aus Hattingen. Quelle: Schwarzwaldkirsch © Unbekannt | Unbekannt
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