Essen. Götz George ist tot. Dabei war uns doch, als wäre dieser Mann mit seinem Raum greifenden Athletenkörper unsterblich. Ein Nachruf.

  • Götz George im Alter von 77 Jahren verstorben
  • Bekannt wurde der Schauspieler vor allem durch seine Rolle als Horst Schimanski
  • Der kernige Typ macht George in den 80er-Jahren zum größten Fernsehstar in Deutschland

Vielleicht gab es wirklich nur eine Rolle, die Götz George nicht beherrschte. Die öffentliche. Und die Nation, die ihn als Kumpel umarmte, seit sie ihren Frieden mit dem polternden Mannsbild Horst Schimanski geschlossen hatte, sie reagierte für einen Moment verstört, wenn er ihre Liebe zu ihm mit rüpelhaftem Benimm und eitler Großspurigkeit auf die Probe stellte.

Auch interessant

Zwar buhlte kein Schauspieler im ewigen Kampf, es sich und allen zu beweisen, mit solcher Wucht um unsere Aufmerksamkeit wie Götz George, und kein Akteur hätte sie mehr verdient, wie wir längst begriffen haben. Aber er wollte uns nicht gehören, der Mann aus Berlin, der sich schon vor langer Zeit mit seiner Lebensgefährtin Marika Ullrich nach Sardinien verkrümelt hatte, er war scheu.

Nun ist dieses menschliche Kraftwerk im Alter von 77 Jahren gestorben; dabei war uns, als wäre dieser Mann mit seinem Raum greifenden Athletenkörper unsterblich, die Jahre nur Kerbe im Kalender eines Alterslosen. Sagen wir es doch ruhig so: Wir haben Götz George nicht wirklich gekannt, aber es tut uns weh, ihn zu verlieren.

"Ich habe mich nicht verbiegen lassen"

So viel quälende Erinnerung muss indes auch ein Götz-George-Fan ertragen: „Wenn der weiße Flieder blüht“ war 1953 sein erster Film, und es durfte ihn trösten, dass mit dieser zuckersüßen Heimatschnulze auch die Karriere von Romy Schneider begann. Während sie einige Jahre später allerdings vor dem deutschen Sissi-Wahn nach Frankreich flüchtete und dort zur großen Schauspielerin reifte, stellt man heute überrascht fest, wie lange es dauerte, bis es George endlich erlaubt war, sein gewaltiges Potenzial auszuschöpfen, über biedere Karl-May-Filmchen mit eigenen Stunts, Gastrollen im Fernsehen und Tourneetheater hinwegzukommen. War George nicht als junger Bursche genau der blendend aussehende Kraftmeier, der in Hollywood zum Star geworden wäre?

Auch interessant

In Deutschland aber lief es anders. Eine Episode in Torsten Körners Biografie „Mit dem Leben gespielt“ wird gerne als einer jener Knackpunkte in Georges Entwicklung zitiert. 1972 redet er in einem Berliner Spielsalon auf Rainer Werner Fassbinder ein, der ihn für die Familienserie „Acht Stunden sind kein Tag“ haben will. George redet über Änderungswünsche am Drehbuch, der bedeutendste deutsche Filmemacher seiner Zeit flippert und flippert und flippert. Und schweigt. „Wenn Sie mir nicht antworten, drehen Sie Ihren Scheiß doch alleine“, flucht George und lässt Fassbinder stehen. „Ich hab’ mich nicht verbiegen lassen“, sagte George später. Und vielleicht wurde genau deshalb dieser nuschelnde Schimanski am Duisburger Tatort so gern als sein Ebenbild empfunden: ein geradliniger Prolet, der immer er selbst bleibt. Der kernige Typ macht George in den 80er-Jahren zum größten Fernsehstar in Deutschland.

„War ich so gut wie Heinrich?"

George gibt sich gelassen freundlich in diesen Jahren, wenn die Leute „Schimi“ über die Straße rufen. Aber mit Kraft und Ehrgeiz gelingt es ihm, sich nicht auf diesen Typ festlegen zu lassen, sich zu befreien vom Schmuddelparka und die Deutschen das Staunen zu lehren, bevor er es sich auf Bitten und Betteln leistet, hier und da doch noch mal in die alte Rolle zu schlüpfen.

Mit darstellerischem Perfektionismus und unerhörter Vielfalt in der Rollenwahl gewinnt er in der 90ern endlich die Statur, mit der er aus dem kolossalen Schatten seines Übervaters Heinrich heraustritt, bis er sich sogar traut, den Alten, den Film- und Theaterriesen, der ihn einst mit der Reitpeitsche züchtigte, selbst zu spielen. „War ich so gut wie Heinrich?“, soll Götz seine Mutter, die Schauspielerin Berta Drews, schon nach seinem ersten Bühnenauftritt mit 13 gefragt haben. Zuletzt hätte sie es bejahen müssen.

George begeistert in "Schtonk" und "Rossini"

George bricht sein Image mit Macht und Lust auf und erobert das Publikum im Land wie kein zweiter. Er begeistert in Helmut Dietls bissigen Komödien „Schtonk“ und „Rossini“, er erschreckt mit leisen Tönen als Jungenmörder Fritz Haarmann in „Der Totmacher“, als KZ-Arzt Josef Mengele in „Nichts als die Wahrheit“, als Alzheimer-Erkrankter im Fernsehdrama „Mein Vater“ oder, in seinem womöglich bewegendsten Auftritt überhaupt, als todkranker Staatsanwalt, der sich an einem ungelösten Fall abarbeitet, in „Nacht ohne Morgen“.

Jeder Film erschien als eine Prüfung, es noch besser machen zu wollen und zu können, die Herausforderung immer zu vergrößern, sich zu befreien vom Zorn darüber, dass man seine Fähigkeiten so lange ignorieren konnte. Götz George gab alles, das war sein Anspruch, er nahm, wie die „Zeit“ mal schrieb, „stets den großen Kino-Anlauf, selbst wenn nur eine kleine Sperrholztür aufzubrechen ist“. Nicht so schlimm, dass Fassbinder weitergeflippert hat.