Velbert. . Im Heimtierhotel Chyle verbringen Nager den Urlaub. Die Warteliste war so lang, dass die Pension in einem ehemaligen Kindergarten neu eröffnet hat.
Wie jedes größere Hotel kann man auch in diesem seinen Urlaub in verschiedenen Kategorien buchen: Neben Standard und Komfort stehen sogar Suiten zur Wahl. Vollpension ist stets im Preis inbegriffen. „Wir sind schließlich ein All-Inclusive-Hotel“, sagt Besitzerin Samantha Chyle lachend. Dabei wird auf den Geschmack der Gäste individuell eingegangen: Wer partout keine Zucchini mag, wird sie auch nicht serviert bekommen. Denn hier soll sich jeder Gast wohlfühlen: Diejenigen, die Ruhe brauchen, ebenso wie die lebenshungrigen oder diejenigen, „die den ganzen Tag nur pennen.“ Willkommen im Kaninchenhotel.
Bevor ein Gast sein „Zimmer“ bezieht, schaut sich Samantha Chyle ihn genau an: Sind die Zähne in Ordnung? Wie sieht das Fell aus? Und ganz wichtig: Ist der Gast auch geimpft? Die Hotelbesitzerin ist gelernte Tierarzthelferin. In ihrer Zeit in der Praxis konnte sie kurz vor den Ferien immer gleich mehrere Pensionsadressen für Katzen und Hunde nennen. Aber für Kaninchen? Kurzerhand betreute sie die ersten Fellnasen in ihrem eigenen Wohnzimmer. Doch es wurden immer mehr Urlaubsgäste. 2007 schließlich gab sie die Arbeit auf, um in Essen-Kettwig ihre erste Tierbetreuung zu eröffnen im Haus und Garten der Eltern. Doch dann standen für die Sommerferien im vergangen Jahr über 400 Tiere auf der Warteliste. „Da habe ich gedacht, wir müssen größer werden.“
Die Gäste sollen glücklich sein
Nun hat die 31-Jährige einen neuen Standort gefunden, in Velbert. „Wir haben uns von 44 auf 440 qm erweitert.“ Wobei das nur der Innenbereich ist. Kaninchen in Außenhaltung dürfen sich statt auf die bisher fünf Hütten demnächst auf 15 freuen. Nächstes Jahr sollen noch zehn weitere hinzukommen. Nur ganz so idyllisch wie in „Tirol“ wird es da nicht mehr. Die Ställe in der alten Pension erinnerten zwar an hübsche Berghütten, „waren aber sehr unpraktisch.“ Weil sie sich so schlecht reinigen ließen. Dafür steht nun jeder Stall in einer Art Voliere, so dass Auslauf 24 Stunden am Tag möglich ist. „Da kann kein Marder rein und auch kein Fuchs.“
George hoppelt vorbei. Er ist kein Gast, sondern ein Familienmitglied, das es gewohnt ist, sich in der Wohnung frei zu bewegen. Das ist natürlich für die Gäste nicht möglich. Wobei „Standard“ – das für zwei Kaninchen pro Tier und Tag in der Innenhaltung 5,50 € kostet – hier immer noch 2 qm sind. Zum Vergleich: Im Zoofachgeschäft ist ein üblicher Kaninchenkäfig 100 cm lang und 54 cm breit, und es gibt noch kleinere. Wenn jemand sein Heimtier bei Chyle in solch einem „Schuhkarton“ unterbringen will, dann sagt sie rigoros: „Nein!“ Sie möchte ihre Gäste nicht quälen, sondern glücklich machen.
Massenhaft grünes Futter
Dazu zählen Versteckmöglichkeiten wie Holzhäuschen. Die Toiletten – Schalen von Katzenklos – werden täglich mit neuen Sägespänen gefüllt. Bei Heu heißt es: All you can eat. Und dreimal am Tag gibt es frisches Gemüse und Kräuter, wie Dill, den gerade die kleine Leila mümmelt. Ein paar Zimmer weiter putzen Tiffany und Hans-Peter ausgiebig ihr Fell. Auf einer Karteikarte an deren Tür ist zu lesen: „Möhre, Gurke, Paprika, Chicoree, Blumenkohl...“ Chyle: „Wir füttern nur das, was uns die Besitzer sagen.“ Denn eine zu schnelle Essensumstellung vertragen Kaninchen nicht. Wenn allerdings jemand nur Trockenfutter füttert, versucht Chyle zu überzeugen, wie ungesund das ist. Bei vielen sei ihr das schon gelungen.
Anfangs fuhr Samantha Chyle zum Discounter, um Möhren, Salat und Paprika zu kaufen. Aber da die Mengen immer größer wurden, war sie dort nicht mehr gerne gesehen. „Es blieb kaum noch etwas für die anderen Kunden übrig.“ Heute fährt sie zu Spitzenzeiten zweimal in der Woche in die Metro: 60 Kilo Möhren, 3 Kisten Eisbergsalat, 4 Kisten Gurken, 2 Kisten Paprika, 9 Kilo Fenchel . . . Allein das Befüllen der vier Kühlschränke dauert Stunden. Dann knibbelt sie die Folie ab, entfernt das Grün, das schnell schimmeln könnte. Eine große Hilfe ist ihre fünf Jahre jüngere Schwester Laura Chyle. Sie macht im Kaninchenhotel ihre Ausbildung zur Heimtierpflegerin. „Komm her zur Tante“, lockt sie gerade ein wuscheliges Kaninchen, um ihm mit einer Spritze vorsichtig ein Medikament ins Mäulchen zu träufeln. Was hat es? „Blase“, sagt Samantha Chyle.
Kaninchen aus der „Adoptionsstube“
Kaninchen, die auf einer ausgestreckten Hand Platz hätten, leben zurzeit in der „Adoptionsstube“. Mit dem Trinkgeld und den Spenden finanziert Chyle die Verpflegung dieser herrenlosen Langlöffel, bis sie ein neues Zuhause für sie findet.
Auf dem Boden, auf dem die Kaninchen hüpfen, tollten früher Kinder. „Das hier war mal ein Kindergarten.“ Heute sind in den Räumen nur selten Jungen und Mädchen. Es handele sich um einen Irrglauben, dass ein Kaninchen ein Kindertier sei. Viele der Kunden hätten gar keine Kinder – aber Kaninchen. Was ist das Besondere an Steh- und Schlappohr? Samantha Chyle kann es nicht so recht erklären. Stattdessen klopft sie mit einer Hand auf ihr Herz und sagt: „Ich bin Kaninchenmensch.“
Natürlich sind auch andere Heimtiere willkommen: Meerschweinchen, Vögel, Mäuse, Ratten, und die ihnen ähnlichen Degus . . . Nur Frettchen nicht. „Das Raubtier würde besser in eine Katzenpension passen.“ Doch dort will man sie meist auch nicht. Chyle: „Das ist eine Marktlücke.“ Und wenn der Osterhase anklopfen würde? „Dann muss ich strikt ablehnen“, sagt sie lächelnd. Hase sei eben nicht Kaninchen. „Der soll mal lieber draußen in der Natur bleiben, da ist er besser aufgehoben.“