Essen.. Die „Häschenschule“ verzaubert seit Generationen nicht nur kleine Kinder. Warum die Geschichte um Hasenhans fasziniert – und was der neue Band taugt.

Seht, wie ihre Augen strahlen,
wenn sie lernen Eier malen!
Jedes Häslein nimmt gewandt
einen Pinsel in die Hand,
färbt die Eier, weiß und rund,
mit den schönsten Farben bunt.
Wer’s nicht kann, der darf auf Erden
nie ein Osterhase
werden.

Diese Reime sind schon über 90 Jahre alt. Aber sie gehören für viele Menschen auch heute noch genauso zum Fest wie die bunten Eier zum Nest. „Kein Ostern ohne die ,Häschenschule’“, hat Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Heidenreich einmal gesagt. Die Geschichte von Hasenhans und Hasengretchen wird von Generation zu Generation weitergegeben. Nun ist eine Fortsetzung erschienen: „Ferien in der Häschenschule“. Sie erinnert stark an das Original – und doch kommt der Band nicht an das Buch von 1924 heran . . .

Mit Ränzchen und Schwämmchen

Das erste Buch: 1924 hatte es noch einen schwarzen Einband.
Das erste Buch: 1924 hatte es noch einen schwarzen Einband. © Esslinger | Unbekannt

Die ersten Verse von Albert Sixtus verzaubern, obwohl für Kinderohren vieles fremd klingen mag, was damals die Hasenkinder erlebten: Sie hoppeln mit ihrem Ränzchen, Tafel und Schwämmchen, um – in der Schule angekommen – artig die Hände zum Frühgebet zu falten. Der Schulalltag sieht heute anders aus. Und doch müssen Groß und Klein schmunzeln. Das liegt nicht nur an den Zeilen, sondern auch an den Zeichnungen von Fritz Koch-Gotha, die die warmherzige Hasenwelt noch etwas wirklicher werden lassen.

Autor und Illustrator haben sich nie persönlich kennengelernt. Aber alleine, ohne den anderen, wären sie mit diesem Buch nicht so erfolgreich geworden. Ein „Dreamteam“ nennt Dr. Pauline Liesen die beiden. Die Kunsthistorikerin leitet das Bilderbuchmuseum in Troisdorf, das sich zurzeit in einer Ausstellung der Häschenschule widmet. Sie hebt nicht nur die eingängigen Reime hervor, die sich selbst die Kleinsten schon merken und die locker über die Lippen gehen. Die Gestaltung von Fritz Koch-Gotha, der zuvor Karikaturen für die Presse gezeichnet hatte, ist gerade für ein Bilderbuch etwas Besonderes. Er zeigt nicht nur die scheinbare Ordnung im Schulalltag, hier und da überspitzt er auch das ganze Geschehen: „Schauen Sie sich den Dorfschullehrer an“, sagt Pauline Liesen. „Wie er seinen dicken Bauch auf die Schulbank legt. Die Hose sitzt nicht richtig, die Socken rutschen. Diese ganze Ironie, die dahinter steht, sehen die Großen.“ So entstehe eine weitere Interpretationsebene, an der sich die erwachsenen Leser erfreuen. „Das schaffen die Nachfolger der Häschenschule nicht.“

Häschen auf Schulausflug

Im neuen Band „Ferien in der Häschenschule“ macht Hasenfritz einen Ausflug mit den Eltern in die Berge.
Im neuen Band „Ferien in der Häschenschule“ macht Hasenfritz einen Ausflug mit den Eltern in die Berge. © Anne & Rudolph Mühlhaus, Esslinger Verlag | Unbekannt

Das gerade veröffentlichte Buch „Ferien in der Häschenschule“, in dem nun Hasenfritz mit seinen Eltern einen schönen Ausflug in die Berge macht, ist nicht die erste Fortsetzung. 1930 erschien bereits „Der Häschen-Schulausflug“. Das Büchlein enthält zwar weitere Originalverse von Albert Sixtus, aber den durchaus schönen Bildern von Richard Heinrich fehlt diese zweite Ebene: Die Hose des Hasenlehrers sitzt.

„Ein Tag in der Häschenschule“ kam 1947 heraus. Allerdings waren da schon nicht mehr die ursprünglichen Häschen-Erschaffer dabei. Das Ehepaar Anne und Rudolf Mühlhaus hat die Verse und Bilder geschaffen. Und auch das neue Buch geht auf sie zurück. Die Tochter der beiden hat das Manuskript entdeckt. 70 Jahre lang soll es in einer Schublade geschlummert haben. . .

In der ersten Morgenfrische
sitzen alle schon bei Tische,
wo nach Mutters Dankgebet
duftend schon der Kaffee ste
ht.

Sixtus hat die Welt der Hasen mit der der Menschen verbunden

Die „neuen“ Verse sind denen von Albert Sixtus gut nachempfunden. (Wobei hier nicht mehr die Hasen die vom Fuchs Gejagten sind, sondern die Hasen selber „jagen“: Sie angeln.) Die allererste Häschenschulen-Szene war jedoch wesentlich charmanter. Da ermahnt die Mutter Hase, Kinder putzt euch noch mal die Nase – mit dem Kohlblatt-Taschentuch.

Sixtus hat die Welt der Hasen mit der der Menschen verbunden. Anthropomorphismus nennen Fachleute diese Darstellungsweise, wenn Tiere menschliche Eigenschaften übernehmen. Wobei immer wieder Kritik laut wurde, ob das überhaupt noch zeitgemäß ist, was Hasenhans und Hasengretchen da erleben. Disziplin scheint das oberste Lernziel in der Hasenschule zu sein. Da wird der Hasenmax, der Bösewicht, nicht nur in die Ecke gestellt. Der Lehrer zieht ihm auch noch die Löffel lang. Dabei ging es in den allerersten Auflagen noch schlimmer zu . . .

Die Originalbilder verbrannten

Pädagogik von damals: Da Hasenmax nicht artig war, zieht ihm der Dorflehrer die Löffel lang.
Pädagogik von damals: Da Hasenmax nicht artig war, zieht ihm der Dorflehrer die Löffel lang. © Fritz Koch-Gotha, Esslinger Verlag | Unbekannt

Die Originalbilder von Koch-Gotha gibt es heute nicht mehr. Sie sind im Zweiten Weltkrieg nach einer Bombardierung verbrannt. Der Illustrator zeichnete sie 1946 erneut. Dabei änderte er manche Bilder: Aus der Hand des Lehrers verschwand der Rohrstock. Nicht nur in dem Moment, als er Hasenmax bestraft, sondern auch auf dem Titel war der Stock ursprünglich zu sehen. Ein Bild wurde sogar gänzlich anders: In der Ausgabe von 1924 jäteten die Mädchen das Unkraut zwischen prachtvollen Blumen. Nun gießen sie einen reinen Nutzgarten. Warum änderte Fritz Koch-Gotha das? „Wir können es nur vermuten“, sagt Pauline Liesen. Sie führt es auf die veränderte Zeit zurück, den Hunger, den die Menschen nach dem Krieg litten. Da war solch ein Luxus, ein reines Blumenbeet zu pflegen, undenkbar. „Wenn sie eine Originalausgabe mit diesen Bildern haben wollen, müssen sie im Antiquariat heute einige hundert Euro zahlen“, so Pauline Liesen.

Vieles zur Häschenschule und ihrem geistigen Vater findet sich jedoch im Albert Sixtus-Archiv. Ulrich Knebel, Sixtus’ Großneffe, gründete es 1997 und bewahrt dort seitdem den schriftlichen Nachlass des Dichters auf. In seinen Memoiren erzählt Sixtus (1892 - 1960), wie er selbst als Kind sehr an einem Buch hing. Da ging es nicht um Hasen, sondern um Heinzelmännchen, die unreife Heidelbeeren mit blauer Farbe anmalten. Doch das Buch des Bruders ging bei einem Umzug verloren und wurde nie wieder gefunden: „Eine Sehnsucht habe ich nach dem Buch gehabt, das lässt sich gar nicht beschreiben. Als kleiner Knirps – wir wohnten ums Jahr 1900 herum in dem sächsischen Bergstädtchen Stolpen – bin ich immer und immer wieder zum Schaufenster des Buchhändlers gelaufen, um nachzusehen, ob er’s nicht mal ausstellt. Vergebliches Hoffen.“

Ohne den kleinen Wolfgang keine Häschenschule

Der neue Band: Die Verse und Bilder erinnern an das Original.
Der neue Band: Die Verse und Bilder erinnern an das Original. © Esslinger | Unbekannt

Später arbeitete er als Realschullehrer. Er heiratete, aber kaum war sein Sohn geboren, wurde er 1915 zum Militärdienst verpflichtet. Als er aus dem Krieg zurückkam, war der kleine Wolfgang bereits drei Jahre alt. Wäre der Junge nicht gewesen, gäbe es heute keine Häschenschule. Denn der Kleine liebte Hasen.

Und so erzählte Sixtus immer wieder neue Märchen. Aber mit Hasen gibt es leider sehr wenige. Als dann jedoch eines Tages die Schwester seiner Frau zu Besuch kam, entstand schließlich die Hasenwelt für Wolfgang: „Schon in der Morgendämmerung holte er das Tantchen aus dem Gastzimmer in sein Bett herüber, und dann begannen die wunderbarsten, aufregendsten Hasenspiele“, erinnerte sich Sixtus. „Meine Frau war die Hasenmutter, Wolfgang das Hasenkind, Martl der Hasenlehrer und ich der böse, böse Rotfuchs, der fürchterlich bellen und fauchen konnte. Herrliche Hasengeschichten sind damals erdacht und mimisch dargestellt worden.“ Dieses Hasentheater blieb Sixtus so sehr im Gedächtnis, dass er es eines Nachts in Kinderverse fasste und ihnen den Namen „Häschenschule“ gab.

Zwei Millionen verkaufte Exemplare

Albert Sixtus schrieb mehr als 50 Bilderbücher, Märchen, Jugendromane, aber kein Buch war so erfolgreich wie die Geschichte über die Langlöffel. „Als die Häschenschule 1924 herauskam, war sie sofort ein Renner“, sagt Pauline Liesen vom Bilderbuchmuseum. Doch so glücklich wie die Häschenschule endete, war Sixtus’ Lebensabend nicht. Wegen einer Kriegsverletzung litt er ständig unter Schmerzen. Und sein einziger Sohn, Wolfgang, kam nie wieder zurück – er blieb in Russland verschollen.

Die Häschenschule wurde bis heute über 2 Millionen Mal verkauft. 1998 erschien sie erstmals in italienischer Sprache: „La scuola dei leprotti“. In Englisch 2009: „The Rabbit School“. Aber auch russische und japanische Kinder können mittlerweile die Häschenschule lesen. Und wie bei allen Kinderbüchern, die sich heute gut verkaufen lassen, wurde auch hier die Merchandising-Maschinerie in Gang gesetzt: Es gibt Häschenschule-Puzzle, -Backformen, -Rezepte. . .

Ist das Buch noch zeitgemäß?

Doch wie soll man Kindern heute solch ein Buch vorlesen, in dem nicht nur Hasen in die Löffel gekniffen wird, sondern auch Mann und Frau ihre sehr traditionellen Rollen einnehmen. „Einfach lesen“, sagt Pauline Liesen vom Bilderbuchmuseum. Lesen und darüber reden, ob es zum Beispiel heute noch Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen gibt. Und wie froh man sein kann, dass einem keiner in der Schule die Ohren langzieht. Wobei der Hasenmax nun wirklich bockig war, wie er Hasenlieschens Rock zerfetzt und eine neue Bank zerkracht hat. „Dafür gäbe es heute einen Schulverweis“, sagt Pauline Liesen lächelnd.

Und noch einen Grund gibt es für die Erwachsenen, die Original-Häschenschule mal wieder vorzulesen: Da werden Erinnerungen wach – an die eigene Kindheit in der Osterzeit.

  • Albert Sixtus, Fritz Koch-Gotha: Die Häschenschule, Esslinger, 40 S., ab 5,95 €, ab 4; Anne und Rudolf Mühlhaus: Ferien in der Häschenschule, Esslinger, 40 S., 9,99 €, ab 5